Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern

Es war ein entsetzlich kalter Tag. Dicke Schneeflocken fielen vom Himmel, und die Dunkelheit kroch langsam durch alle Straßen. Es war der letzte Abend im Jahr, der Silvesterabend.

Ein kleines armes Mädchen ging in dieser Kälte mit bloßem Kopfe und nackten Füßen auf der Straße. Das Kind hatte zu Anfang noch Pantoffeln gehabt, als es von zu Hause wegging. Aber das hatte nichts geholfen! Die alten Pantoffeln waren viel zu groß, weil sie von der Mutter waren. So verlor das Mädchen diese auch schon bald, denn sie musste rasch über die Straße springen, als eine Pferdekutsche vorüberjagte. Der eine Pantoffel war im Schnee nicht wiederzufinden, und mit dem anderen machte sich ein Knabe davon.

So ging das kleine Mädchen nun auf nackten Füßchen, die durch die Kälte ganz rot und blau waren. In ihrer alten Schürze trug sie viele Schachteln mit Schwefelhölzern, und in der Hand hielt sie ein ganzes Bund davon. Den ganzen Tag über hatte ihr niemand etwas abgekauft, und niemand wollte ihr ein Almosen reichen. Hungrig und frierend schleppte sich das arme Mädchen weiter. Sie sah schon ganz traurig aus und war den Tränen nahe.

§6

Jedes Kind hat das Recht zu leben!
Die Regierungen aller Länder müssen alles tun, um für Essen und Trinken, Sicherheit und Gesundheit der Kinder zu sorgen. Besonders in den armen Ländern sterben viele Kinder an Hunger und Seuchen. Da wo Not ist, da leiden die Kinder am meisten.

Das Mädchen schlich weiter die Straße entlang. Aus allen Fenstern strahlte heller Lichterglanz, und überall war der Geruch von köstlichem Gänsebraten. Es war ja Silvesterabend, und dieser Gedanke ließ das kleine Mädchen nicht mehr los.

In einem dunklen Winkel zwischen zwei Häusern kauerte sie sich nieder und zog die kleinen Beinchen an. Der Frost kroch ihr aber weiter in die Glieder. Trotzdem wagte sie nicht nach Hause zu gehen, da ja noch kein einziges Schwefelholz verkauft war. Gewiss würde der Vater sie mit Schlägen hart strafen. Auch war es zu Hause bitterkalt, denn die Familie hatte nur ein armseliges Dach über dem Kopfe. Der Wind pfiff heulend hinein, obwohl die schlimmsten Ritzen schon mit Stroh und Lumpen zugestopft waren.

"Ach, wie schön wäre doch ein brennendes Schwefelhölzchen", flüsterte das arme Mädchen. Sie wollte es aber nicht wagen, es gegen die Wand zu streichen und die Finger damit zu wärmen! Doch die Versuchung war einfach zu groß. Vorsichtig zog das Mädchen ein Hölzchen aus der Schachtel, und ratsch, da sprühte die Flamme leuchtend auf.

Das Schwefelholz strahlte mit warmer Flamme, und das Mädchen hielt schnell seine Händchen darum. Doch seltsam! Es kam dem kleinen Mädchen so vor, als säße sie vor einem großen eisernen Ofen. Das Feuer brannte schön und warm, und tat so gut! Sie streckte schon die Füße aus, um auch diese wohlig zu wärmen, da war die Flamme aber plötzlich aus. Der Ofen verschwand so schnell, wie er gekommen war, und das Mädchen fand nur noch ein schwarzes Schwefelholz in ihrer Hand.

Jetzt nahm sie wieder ein Hölzchen und entzündete es. Das Licht leuchtete so wunderbar hell, dass die Hausmauer an ihrer Seite ganz durchsichtig erschien. Das Mädchen konnte geradewegs in die Stube schauen, wo der Tisch mit einem weißen Tuch und feinem Porzellan gedeckt war. Darauf dampfte köstlich eine gebratene Gans, mit Pflaumen und Äpfeln. Und was noch herrlicher war, die Gans sprang aus der Schüssel und watschelte mit Gabel und Messer im Rücken über den Boden auf das Mädchen zu. Da erlosch das Schwefelholz wieder, und nur die dicke kalte Mauer blieb zurück.

Das kleine Mädchen überlegte nicht lange und nahm das dritte Zündholz. Kaum war dieses entflammt, da saß sie unter einem herrlichen Weihnachtsbaum. Der Baum war der Schönste, den sie je gesehen hatte. Tausende von Lichtern brannten auf den grünen Zweigen, und bunte Glaskugeln, die sie in den Fenstern der Kaufläden gesehen hatte, glitzerten in allen Farben. Das kleine Mädchen streckte beide Hände nach ihnen aus, da war das Schwefelholz erloschen. Die vielen Weihnachtslichter stiegen höher und höher, und sie sah, dass es die hellen Sterne waren. Doch einer von ihnen fiel herab und zog einen langen Feuerschweif über den Himmel.

"Jetzt stirbt jemand!", flüsterte die Kleine, denn ihre alte Großmutter, die immer gut zu ihr gewesen war, hatte auf dem Sterbebett gesagt: "Wenn ein Stern fällt, steigt eine Seele zu Gott empor!"

Wieder strich das Mädchen ein Schwefelholz gegen die Mauer. Der helle Lichtschein fiel jetzt auf die alte Großmutter, die mild und freundlich vor ihr stand.

"Großmutter!", rief das arme Mädchen, "Großmutter, nimm mich mit! Ich weiß doch, dass du verschwindest, wenn das Schwefelholz zu Ende ist. Du verschwindest wie der warme Kachelofen, der köstliche Gänsebraten und der große Weihnachtsbaum!"

Da beeilte sich das Mädchen und strich den ganzen Rest der Schwefelhölzer an, die noch im Schächtelchen waren. Sie wollte die Großmutter bei sich behalten. Die Schwefelhölzer aber machten einen solchen Glanz, als wäre es mitten am hellen Tag. Mit einem freundlichen Lächeln nahm die Großmutter das kleine Mädchen auf ihren Arm. Dann schwebten sie in Glanz und Freude empor. Kälte, Hunger und Angst hatten endlich ein Ende. Die Kleine war bei Gott.

Am kalten Morgen saß in dem Winkel zwischen den Häusern ein kleines Mädchen mit roten Wangen und einem Lächeln um den Mund. Sie war tot, erfroren am letzten Tag des alten Jahres. Neben ihr lagen lauter Schwefelhölzer, wovon fast ein ganzes Schächtelchen verbrannt war.

"Sie hat sich wärmen wollen", sagte man. Doch niemand wusste, warum die Kleine im Angesicht des Todes lächelte.