Sturm auf die Hütte
- Autor: Stevenson, Robert Louis
Kaum hatte Alan gesprochen, als sich das Gesicht des Kapitäns in der offenen Tür zeigte. "Halt!", rief Alan, und der Kapitän blieb wirklich stehen. Er zuckte mit keiner Wimper und sagte: "Ein nackter Degen? Eine wunderliche Antwort auf Gastfreundschaft."
Alan entgegnete: "Seht Ihr mich? Von Königen stamme ich. Eines Königs Namen trage ich. Die Eiche ist mein Wappen. Mein Degen hat mehr Feinde niedergemacht, als Ihr Zehen an Euren Füßen habt. Ruft Eure Leute und dann los! Je eher das Treffen beginnt, um so eher sollt Ihr dieses Eisen in Euren Gedärmen spüren!"
Der Kapitän ging nicht auf seine Worte ein, warf mir aber böse Blicke zu: "David, das werde ich dir nie vergessen!" Der Ton seiner Stimme ging mir durch und durch. Im nächsten Augenblick war er verschwunden.
Alan sagte: "Gut aufgepasst! Jetzt geht's los!" Er nahm seinen Dolch, und ich kletterte auf das Bett, den Arm voller Pistolen und öffnete das Fenster, durch das ich Wache halten sollte. Die See hatte sich geglättet, und es war sehr still auf dem Schiff. Dadurch konnte ich ein Klirren hören, welches mir verriet, dass sie Entermesser verteilten. Eine düstere Verzweiflung erfüllte mich, aber auch Zorn. Ich wollte mein Leben so teuer wie möglich verkaufen.
Ganz plötzlich ging es dann los. Füße scharrten, Gebrüll erscholl, dann ein Schrei aus Alans Mund, das Krachen von Hieben. Jemand schrie wie ein Verletzter. Ich blickte über die Schulter. Shuan stand in der offenen Tür, seine Klinge mit der Alans gekreuzt.
"Der ist's! Der hat den Jungen ermordet!", rief ich.
"Pass auf dein Fenster auf!", gab Alan zurück. Beim Umdrehen sah ich gerade noch, wie der Degen den Leib des Steuermanns durchbohrte. Kaum hatte ich meinen Platz wieder eingenommen, sah ich fünf Mann mit einer Rahe als Rammbock auf die Tür losgehen. Obwohl ich noch nie in meinem Leben geschossen hatte und schon gar nicht auf einen Menschen, wusste ich, dass es jetzt um mein Leben ging. Ich fasste mir ein Herz und schoss. Ich musste wohl getroffen haben, denn einer schrie laut auf und schwankte zurück. Die anderen hielten verstört inne. Ehe sie sich wieder aufrafften, schoss ich eine zweite Kugel über ihre Kopfe hinweg und dann noch eine dritte. Nun warfen sie die Rahe hin und rannten davon.
Ich blickte mich um und sah Alan genau so stehen wie zuvor, nur sein Degen war jetzt voller Blut. Ich glaube, genau in diesem Augenblick starb Shuan, der vor ihm lag. Alan sah kraftvoll und unbesiegbar aus.
Er erkundigte sich, wie es bei mir gelaufen sei und sagte: "Gleich werden sie wieder da sein. Auf deinen Posten, David! Das war nur der Anfang!"
Ich nahm meinen Platz wieder ein, lud die drei Pistolen erneut und lauschte. Ab und zu konnte ich ein Wort erhaschen.
"Shuan hat die Sache vermasselt!", hörte ich einen von ihnen sagen. Dann konnte ich keine einzelnen Worte mehr verstehen, nur noch ein Gemurmel. Meist sprach einer, der vermutlich einen Plan erklärte. Daraus schloss ich, dass sie bald wieder zurückkehren.
Wir warteten und meine Angst wurde erneut stärker. Nach einer Weile hörte ich draußen vorsichtige Schritte. Ich begriff, dass sie im Dunkel ihre Plätze einnahmen. Auch auf das Dach über mir ließ sich jemand fallen. Dann ertönte ein einzelner Pfiff. Das war das Zeichen!
Ein ganzer Haufen von Männern mit Entermessern in den Händen stürzte sich auf die Tür. Im selben Augenblick zersplitterte das Glas im Oberlicht in tausend Stücke, und einer von ihnen sprang herab. Noch ehe er auf die Füße kam, hatte ich ihm eine Pistole auf den Rücken gesetzt. Fast hätte ich ihn erschossen, aber dann brachte ich es nicht über mich, auf einen lebenden Menschen so ganz aus der Nähe zu schießen.
Beim Sprung hatte der Mann sein Entermesser fallen lassen. Jetzt drehte er sich um und fuhr mich mit einem grauenvollen Fluch an. Das gab mir den Mut zurück oder versetzte mich in derartige Angst, dass ich laut schrie und abdrückte. Ich traf ihn mitten in den Leib. Im selben Augenblick ließ sich ein zweiter Mann durch die Öffnung in der Decke herab. Ich ergriff eine andere Pistole und schoss ihm in den Schenkel. Dann setzte ich die Mündung noch einmal an die richtige Stelle und drückte ab.
Da hörte ich Alan rufen, dass er Hilfe braucht. Bis jetzt hatte er die Tür allein gehalten, aber nun war es einem von den Matrosen gelungen, sich an ihm vorbeizudrücken. Der packte ihn um den Leib. Alan erdolchte ihn, aber der Bursche hing wie ein Blutegel an ihm. Inzwischen drängten sich mehrere Männer durch die Tür, und ich dachte: Verloren!' Da stürzte der, der an Alan gehangen hatte, endlich nieder und der Jakobit sprang schnell zurück, um sich dann brüllend wie ein Stier auf die übrigen zu werfen.
Der Haufen vor ihm teilte sich, sie wandten sich um, rannten und stürzten davon. Alan trieb sie draußen auf dem Deck weiter mit seinem Degen dahin, wie ein Hund eine Schafherde.
So schnell wie er hinaus gestürmt war, kam er aber auch wieder zurück, denn trotz seiner Tapferkeit war er vorsichtig. Wir hörten, wie die Burschen ins Vorderdeck taumelten und über sich die Luke schlossen.
Die Hütte glich einem Schlachthaus. Drei Tote lagen drinnen, ein vierter lag im Todeskampf auf der Schwelle. Alan und ich waren unverletzt. Mit offenen Armen lief er mir entgegen. "An mein Herz, Junge!", rief er und umarmte und küsste mich auf beide Wangen. Dann warf er die vier Leichen zur Tür hinaus.
Insgesamt waren fünf Mann getötet oder kampfunfähig, zwei davon durch meine Hand. Vier weitere waren verletzt. Einer von ihnen hatte seine Verletzung von mir. Ich hatte meinen Teil im Kampf geleistet, aber ich war entsetzt über mein eigenes Tun. Ich stolperte zu einem Schemel und fing an zu schluchzen und zu weinen wie ein kleines Kind. Alan legte mir die Hand auf die Schulter. Ein tapferer Kerl sei ich, sagte er, und brauche nichts als Schlaf.
"Ich übernehme die erste Wache. Du hast prachtvoll zu mir gehalten, David, von Anfang bis Ende." Er machte mir auf dem Boden ein Bett zurecht und übernahm die Wache, in der Hand eine Pistole und auf den Knien seinen Degen. Nach drei Stunden weckte er mich, und ich übernahm die zweite Wache. Die See war ruhig. Nur das Steuer schlug hin und her. Da wusste ich, dass nicht einmal jemand am Steuer stand. Später erfuhr ich, dass so viele tot oder verletzt waren und die restlichen in so erbitterter Stimmung, dass Riach und der Kapitän selbst abwechselnd Wache halten mussten.
Aus dem Kreischen vieler Möwen schloss ich, dass wir recht nah vor der Küste trieben. Schließlich sah ich rechts die gewaltigen Felsberge von Skye, etwas weiter hinten die merkwürdige Insel Rum.