Meldung aus Ioannina
- Autor: Dumas, Alexander
Drei Dinge geschahen danach fast zur gleichen Zeit. Zunächst erschien im Journal de Paris folgende Meldung: "Unser griechischer Korrespondent schreibt uns, dass der Mann, der den mächtigen Ali, Pascha von Ioannina, vor mehr als einem Jahrzehnt verraten und dadurch seinen Tod verursacht hat, ein französischer Offizier gewesen sein soll, der den Vornamen Fernand trägt und sich heute einer geachteten, einflussreichen Stellung erfreut."
Wenige Stunden nach Erscheinen der Zeitung ließ sich der Vicomte Albert von Morcerf bei dem Redakteur Beauchamps melden. "Mein Herr", stieß er erregt hervor, "ich verlange von Ihnen, dass Sie diese Meldung widerrufen, oder ich fordere Sie zum Duell."
"Und aus welchem Grund?", fragte dieser ruhig.
"Mein Vater, dessen Ehre mir über alles geht, geboren als Fernand Montego, heute Graf von Morcerf, hat als Offizier in vielen Ländern gedient "
"Aber wo steht, dass er der Verräter war?"
"Nirgendwo, aber andere werden so denken. Widerrufen Sie."
Beauchamps dachte nach. Dann sagte er: "Diese Meldung stammt nicht von mir. Ich werde Erkundigungen einziehen, und dafür höchstpersönlich in den Epirus fahren. Geben Sie mir drei Wochen Zeit. Wenn Sie dann noch immer darauf beharren, stehe ich für ein Duell zu Ihrer Verfügung."
Albert musste sich zähneknirschend damit zufrieden geben.
Das zweite Ereignis war, dass Frau von Villefort, die Stiefmutter von Valentine, ihren Schwiegervater, Herrn von Noirtier, aufsuchte. "Was Sie nicht wissen, mein Herr, ich war stets gegen diese Heirat. Durch euer Eingreifen wurde sie verhindert.
Da nun diese Heirat, die Ihnen, wie ich weiß, ebenso sehr widerstrebte, abgebrochen ist, komme ich, um Sie etwas zu fragen, was weder Herr von Villefort noch Valentine tun können."
Die Augen von Noirtier fragten, was sie wolle.
"Ich komme, um Sie zu bitten, mein Herr, dass Sie Valentine wieder zu ihrer Erbin machen."
Die Augen des Greises blieben eine Zeitlang unschlüssig. Offenbar suchte er nach den Beweggründen seiner Schwiegertochter. Mit einem eigentümlichen Glanz in den Augen reichte Frau von Villefort dem Gelähmten einen Becher um daraus zu trinken.
Das Dritte war, dass der Baron Danglars den Grafen von Morcerf empfing. Der Graf war gekommen, um die Heiratspläne seines Sohnes mit Eugenie Danglars näher abzusprechen. Doch der Baron wand sich in seinen Erklärungen. Schließlich erklärte er, dass er der Meinung sei, dass sie seinerzeit übereilt gehandelt hätten, als sie ihre Kinder zu vermählen beabsichtigten.
"Sehen Sie Graf, meine Tochter ist erst 17 und ihr Sohn gerade einmal 21. Während wir die Hochzeit aufschieben, schreitet die Zeit fort. Oft fallen seltsame Verleumdungen an einem Tag zusammen."
Der Graf von Morcerf begriff die Anspielungen auf den Artikel im Journal de Paris. Er stand wütend auf und verließ Danglars beleidigt. Der Bankier aber lächelte zufrieden. Er ließ den Prinzen Cavalcanti - nicht anders nannte er den Korsen Benedetto in Gedanken bereits - rufen.
Dieser wartete im Vorzimmer. Es brauchte keine lange Unterredung. Der angebliche Reichtum des toskanischen Fürstensohnes hatte Danglars völlig geblendet. Er war bereit jegliche Summe an seinen zukünftigen Schwiegersohn auszuzahlen und drückte Andrea Cavalcanti an sein Herz.
Auch Maximilian Morel fühlte sich bereits als Schwiegersohn. Valentine von Villefort hatte ihren alten Kammerdiener gebeten, Kapitän Motel zu ihr zu bringen. Dieser rannte so, dass ihm der ergraute Diener kaum zu folgen vermochte. Valentine zog Maximilian heimlich ins väterliche Haus. Dort schlichen sie in die Kammer des Großvaters um sich beim ihm zu bedanken. Außerdem erbaten sie seinen Segen für ihren Bund. Der Greis nickte zufrieden.
"Warte noch ab, bis ich volljährig bin", flüsterte Valentine Maximilian danach leise zu. "In zehn Monaten kann ich über mich selbst bestimmen. Dann verfüge ich über die Erbschaft von Großmutter Saint-Meran.
Maximilian nickte und verschwand auf ein Zeichen in einer Nische, da sich Stimmen näherten. Der Kammerdiener trat ein, noch reichlich außer Atem. Noirtier ermuntere ihn mit den Augen, aus seiner Karaffe zu trinken, um sich zu erfrischen. Valentine reichte ihm ein Glas und der Diener trank dankbar. Wenige Augenblicke später lag er, von grässlichen Krämpfen geschüttelt, auf dem Boden.
Valentine erschrak zu Tode. Sie rief um Hilfe. Ihr Vater und ihre Stiefmutter eilten herbei. Nur wenige Minuten später erschien der Arzt. Er untersuchte den nun reglos daliegenden Diener.
"Ist er ohnmächtig?", fragte Herr von Villefort.
"Er ist tot!"
Villefort wich einen Schritt zurück. "So schnell?"
Der Arzt zog ihn in einen angrenzen Raum, wo sie alleine waren. "Ja, so schnell, ist das nicht seltsam?", antwortete er hart. "Wo doch der Marquis und die Marquise von Saint-Meran auf dieselbe Weise gestorben sind."
"Sie meinen, dass es wieder Gift war?"
"Ich bin mir absolut sicher. Es war Brucin."
"Aber wie kommt es dann, dass mein Vater nicht starb? Schließlich war es seine Karaffe."
"Die Erklärung ist einfach. Ich behandle ihren Vater sein langem mit geringen Mengen Brucin. Er hat sich längst an eine Dosis gewöhnt, die für jeden anderen tödlich ist!"
"Aber wer ?" Herr von Villefort erbleichte.
"Suche den, dem das Verbrechen nützt - so sagen doch die Rechtsgelehrten. Das müssten Sie am besten wissen! Erbt nicht ihre Tochter ?"
"Valentine? Nein, das ist unmöglich, Doktor! Sie liebt ihren Großvater mehr als mich."
"Hören Sie, Herr von Villefort, das Verbrechen ist unleugbar. Es war ihre Tochter, die die Medikamente für den Marquis gepackt hat, die an ihn nach Marseille geschickt worden sind, bevor er nach Paris aufgebrochen ist. Hier im Haus, war es ebenfalls Fräulein Valentine, die das abendliche Getränk für die Marquise bereitet hat. Und eben hat sie für den Kammerdiener aus der Karaffe ihres Vaters eingeschenkt. Tun Sie Ihre Pflicht, Herr Staatsanwalt!"
Da sank Herr von Villefort vor dem Arzt auf die Knie: "Haben Sie Mitleid, schonen Sie mein Leben, meine Ehre! Wie, wenn Sie sich doch täuschen?"
"Ich kenne Sie lange", erwiderte der Arzt leise und nach langem Nachdenken. "Ich werde warten. Doch wenn noch eine Person aus Ihrem Haus krank werden sollte, wenn Sie sich selbst getroffen fühlen, rufen Sie mich nicht! Ich kann Ihrem Ruf nicht mehr folgen, und ich verweile nicht in einem Haus, in dem gemordet wird. Guten Tag, mein Herr!"
Mit diesen schonungslosen Worten verließ der Arzt Herrn von Villefort. Die Bediensteten kündigten alle, im Haus des Todes mochte keiner bleiben.
Valentine weinte. Villefort verharrte in der höchster Erregung, ja, mehr als das, in Erschütterung. Aber als er seine Frau ansah, kam es ihm vor, als ob ein flüchtiges Lächeln über ihre dünnen Lippen flöge.