Lohn und Vergeltung
- Autor: Twain, Mark
Hugh Hendon gestand sein abgebrühtes Verhalten. Natürlich hatte er Lady Edith gedroht, er würde sie töten, wenn sie zu erkennen gäbe, dass sie Miles wieder erkenne. Seine Frau antwortete jedoch: "Mein Leben hat ohne ihn keinen Sinn - tötet mich ruhig." Da änderte Hugh seine Absicht und drohte damit, Miles umzubringen, wenn Lady Edith ihn nicht verleugnen würde. Da übte sie Gehorsam.
Trotz seines Betrugs und der Drohungen wurde Hugh nicht eingesperrt. Weder seine Gattin noch sein Bruder sagten gegen ihn aus. Hugh verließ daraufhin seine Frau, um auf einem anderen Kontinent zu leben. Bald darauf starb er.
Es dauerte nicht lange, bis der Graf von Kent seine Lady Edith endlich ehelichen konnte. Der Jubel auf Hendon Hall war groß bei ihrem Empfang.
Tom Cantys Vater tauchte nie wieder auf.
König Edward befreite den seinerzeit als Sklave verkauften Farmer aus der Bande des Kraftprotzes und sorgte fortan für seinen Lebensunterhalt. Auch um die beiden Mädchen der auf dem Scheiterhaufen verbrannten Frauen kümmerte er sich. Und den Wächter, der Hendon ungerechterweise geschlagen hatte, ließ er ebenfalls bestrafen.
Überhaupt hatte er niemanden vergessen, dem er in den vergangenen Wochen über den Weg gegangen war. Er bewahrte den Jungen, der den Falken gerettet hatte vor dem Galgen. Ebenso die Frau, die ein Stück Tuch beim Weber geklaut hatte. Leider kam für jenen Mann, der aus Hunger im königlichen Wald gewildert hatte, jede Hilfe zu spät.
Dem Richter, der so mitleidvoll mit ihm umgesprungen war, erwies er seine königliche Gnade. Er konnte noch erleben, wie dieser Mann ein hochgeachteter Rechtsgelehrter wurde.
Regelmäßig berichtete der König von seinen Abenteuern, die begonnen hatten, als er mit den vertauschten Lumpenkleidern den Palast verlassen hatte und die geendet hatten, als er mit einer Schar von Handwerkern in die Kathedrale geschlüpft war. Versteckt in der Gruft eines ehemaligen Königs war er derart erschöpft eingeschlafen, dass er beinahe die Krönungszeremonie verpasst hätte.
König Edward erzählte oft, welch unbezahlbare Lehren er aus den Vorkommnissen gezogen hatte. Er wollte nie vergessen, dass es die vornehmste Pflicht eines Staatsmannes und Herrschers sei, sein Volk in Milde und Gerechtigkeit zu regieren.
Der König erfreute sich nur einer kurzen Regierungszeit, während der Tom Canty und Miles Hendon seine treuen Lieblinge waren. Sie trauerten wohl am tiefsten um ihn, als er starb. Graf Kent machte lediglich zweimal Gebrauch von seinem seltsamen Vorrecht, vor dem König des Landes sitzen zu dürfen. Einmal bei der Thronbesteigung der Königin Mary und das zweite Mal bei der Krönung von Königin Elisabeth.
Tom Canty wurde ein stattlicher weißhaariger Greis, der sein gütiges Wesen nie verlor. Zeit seines Lebens wurde er von seinen Mitmenschen geliebt und verehrt. Erinnerte doch seine auffallende Tracht ständig an sein kurzes Zwischenspiel als König von England. Wo er auftauchte, sagten die Menschen ehrfürchtig: "Macht Platz, hier kommt des Königs Mündel." Tom Canty nahm somit in der Geschichte Englands einen bedeutenden Platz ein.
König Edward VI. lebte nur noch wenige Jahre. Er machte seinem Namen alle Ehre. Und wenn einer der hohen Herren es wagte, sich über seine Milde und Güte aufzuregen, erinnerte er mit wissendem Blick an seine Erfahrungen: "Was wollt Ihr schon vom Leid und der Unterdrückung meines Volkes wissen. Ich weiß darum."
In der grausamen Zeit des sechzehnten Jahrhunderts galt die barmherzige Regierung Edwards VI. als einzigartig. Ihm zu Ehren wollen wir dies in Erinnerung behalten.