Legree
- Autor: Beecher Stowe, Harriet
Legrees Wohnzimmer war ein großer langer Raum. Einst war er prunkvoll gewesen, aber jetzt schimmelten die Tapeten, Sattelzeug, Sporen und Kleidungsstücke lagen in buntem Durcheinander, dazwischen machten es sich die Hunde bequem und über allem lag ein ungesunder, Übelkeit verursachender Geruch. Legree war finsterer Stimmung. Seit er Emmeline ins Haus geholt hatte, loderte Cassys Hass. Sie hatte sofort für das Mädchen Partei ergriffen und es war zu einem hitzigen Streit zwischen ihr und Legree gekommen. Legree hatte ihr schließlich angedroht, sie zur Arbeit aufs Feld zu schicken. Am nächsten Morgen war Cassy freiwillig mit den Feldarbeitern gegangen, um ihm zu zeigen, wie wenig seine Drohung sie schreckte. Legree war den ganzen Tag unruhig gewesen, denn er brauchte Cassy. Sie hatte eine Macht über ihn, die ihm selbst unerklärlich erschien. Am Abend hatte er sich an der Waage mit ihr versöhnen wollen, aber sie hatte sich kalt abgewendet. Und dann hatte dieser Dummkopf von Sambo noch einen Streit zwischen Legree und Tom vom Zaun gebrochen. "Die Pest soll diesen Sambo holen.", murmelte Legree. "Natürlich, Schuld sind immer die anderen. Verdirbst dir mitten in der Ernte deine besten Leute, nur weil du so ein Hitzkopf bist." Cassy war eingetreten und hatte Legrees Bemerkung gehört. "Ach, Cassy. Ich kann doch nicht zulassen, dass dieser Nigger seinen Willen durchsetzt! Er muss kuschen!" "Dieser Mann wird nie kuschen.", meinte Cassy.
Das Gespräch wurde durch Sambo unterbrochen, der ein Päckchen hereinbrachte. "Sieh nur, Master. Ein Hexenzauber. Der Neue hatte es bei sich." Er überreichte Legree das Päckchen, der es sofort aufriss. Wie alle grausamen Menschen war er sehr abergläubisch. Aus dem Päckchen fiel ein Silberdollar und eine glänzende Locke aus blondem Haar ringelte sich wie ein lebendiger Ring um Legrees Finger. "Verdammt!", brüllte Legree und riss sich die Locke vom Finger, als habe er sich verbrannt. "Nimm' es weg. Woher hast du diesen Mist? Verbrenn es! Sofort! Und bring mir niemals wieder solches Teufelszeug, hast du verstanden?" Er hob den Silberdollar auf und warf ihn aus dem Fenster. Cassy und Sambo starrten Legree entgeistert an.
Legree setzte sich und schlürfte Punsch, während Sambo und Cassy den Raum verließen. Legree starrte ins Leere und erinnerte sich an eine Zeit, in der er noch nicht so hart und gefühllos gewesen war. In früher Kindheit hatte seine blonde Mutter ihn in Neu-England erzogen. Aber als Sohn eines hartherzigen Vaters hatte er später ihren Rat verachtet und im frühen Alter das Elternhaus verlassen, um auf See sein Glück zu machen. Nur ein einziges Mal kehrte er nach Hause zurück. Seine Mutter beschwor ihn, das sündhafte Leben zum Besten seiner unsterblichen Seele aufzugeben. Legree aber fluchte und trank weiter und war wilder und brutaler als jemals zuvor. Ein letztes Mal versuchte seine Mutter, ihn umzustimmen, warf sich ihm zu Füßen und flehte, er möge von diesem Leben ablassen. Da warf er sie roh zu Boden und verschwand. Er erhielt die Nachricht von ihrem Tode in einer Nacht, in der er mit seinen Kumpanen schwer gezecht hatte. Er öffnete den Brief und heraus fiel eine lange blonde Locke, die sich um seinen Finger wickelte. In dem Brief las er, dass sie ihn auf dem Totenbett gesegnet und ihm verziehen habe. Von da an hatte er oft seine Mutter an seinem Bett stehen sehen und gefühlt, wie sich die Locke um seinen Finger ringelte.
"Zum Teufel!", sagte Legree nun zu sich selbst. "Ich werde diesen Kerl in Frieden lassen. Wo hatte er diese Locke bloß her? Es kann nicht dieselbe sein, denn ich habe sie ja verbrannt." Er schüttelte sich. Dann stand er auf und rief nach Quimbo und Sambo. "Kommt her und vertreibt mir mit euren Höllentänzen die finsteren Gedanken." Er holte sich Sambo und Quimbo öfter, um ihnen mit Whisky einzuheizen. Dann ließ er sie tanzen oder singen oder sich prügeln, je nachdem, wonach ihm gerade zumute war. Und während unten das Trinken und Raufen begann, stahl sich Cassy nach oben und klopft an Emmelines Zimmertür.
Emmeline kauerte bleich in der hintersten Ecke. Als sie Cassy erkannte, war sie erleichtert. "Oh, Cassy. Ihr seid es. Ich dachte schon, er käme zu mir. Wie schön, dass Ihr da seid. Ihr wisst nicht, was es unten immer für einen fürchterlichen Lärm gibt." Cassy lächelte. "Ich sollte es nicht wissen, aber ich habe es oft genug mit angehört." "Können wir denn wirklich nirgendwohin fliehen? Mir ist gleich, ob es in den Sümpfen Schlangen gibt. Lieber würde ich in den Sümpfen wohnen und von Rinde und Gras leben." "Viele sind schon deiner Ansicht gewesen. Aber in den Sümpfen würden die Hunde dich aufspüren und dann... Wir kommen von hier aus nirgendwohin. Nur ins Grab. Du kennst den verkohlten Baum am Rande der Sümpfe schon? Niemand wird es wagen, dir etwas über diesen Baum zu erzählen. Und deshalb trink!" Sie zeigte Emmeline eine Flasche. "Ich kann das nicht trinken. Meine Mutter hat gesagt, ich dürfte diesen fürchterlichen Schnaps nie anrühren." Cassy lachte bitter. "Ich kann nicht mehr ohne ihn leben. Du musst so etwas haben, sonst kannst du dieses entsetzliche Leben nicht aushalten."
Die beiden Frauen trösteten einander. Der Lärm in den unteren Räumen verebbte langsam und Legree schlief ein. Er hatte schwer getrunken, aber seine Konstitution erlaubte ihm einen Alkoholgenuss an dem andere Menschen zugrunde gegangen wären. Allerdings trank er nicht all zu oft, um sich immer in der Gewalt zu behalten. Am nächsten Morgen jedoch erwachte er spät. Er trank gerade einen Schnaps als Cassy eintrat. Sie musterte ihn. "Ich gebe dir einen Rat. Lass Tom in Ruhe. Du hast zwölfhundert Dollar für ihn bezahlt. Zuviel, um in mitten in der Saison totzuschlagen. Ich habe dir schon oft tausende Dollar gespart, wenn ich mich um die Leute gekümmert habe, die ihr zusammengeschlagen habt. Nie hast du dich bedankt! Wenn du deine Leute in der Ernte kaputtschlägst, wirst du nie gewinnen."
Legree hatte nämlich den Ehrgeiz, die beste Ernte des Jahres einzubringen, so wie viele Pflanzer es hatten. Er zuckte mit den Schultern. "Dann soll Tom sich entschuldigen und versprechen, sich künftig besser zu benehmen." "Das wird er nicht tun." "Er hat das zu tun, was ich sage...", brauste Legree auf. "Und du verlierst deine Wette.", unterbrach Cassy ihn. "Wo ist er?", fauchte Legree. "Im Schuppen.", antwortete Cassy.
Legree betrat den Schuppen, in dem Tom am Boden lag. Er stieß ihn mit dem Fuß an. "Na? Kannst du auf die Knie fallen und mich für alle Sünden um Vergebung bitten?" "Mr. Legree, ich tat, was ich für richtig hielt. Wenn es sein muss, tu' ich es wieder. Ihr könnt meinen Körper töten, aber mehr auch nicht. Danach beginnt die Ewigkeit. Ihr habt mich gekauft und ich will Euer treuer Knecht sein. Ich gebe Euch die Arbeit meiner Hände, meine Zeit und meine Kraft. Aber meine Seele gebe ich keinem Menschen. Ich glaube an Gott und fürchte mich nicht vor dem Tod. Je eher ich sterbe, umso besser." In Legree stieg wieder die Wut auf. "Bevor du stirbst, gehorchst du mir!", schrie er und schlug Tom, der nur mühsam auf die Beine gekommen war, zu Boden.
"Ich habe es dir ja gesagt!", sagte Cassy auf Französisch, die Legree in den Schuppen gefolgt war. "Lass ihn in Ruhe. Ich kümmere mich um ihn, dann kann er morgen wieder zur Feldarbeit gehen." "Gut, ich lass dir deinen Willen.", knurrte Legree. Zu Tom sagte er: "Die Arbeit drängt und ich brauche jeden Mann. Deshalb verschone ich dich jetzt, aber glaube nicht, dass ich das hier vergessen werde." Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand aus dem Schuppen.