Hyakinthos
- Autor: Schwab, Gustav
Der König von Lakonien [1] hatte einen Sohn mit Namen Hyakinthos. Gott Apollon [2] sah den lieblichen Knaben und wendete sich ihm mit herzlicher Zuneigung zu. Ja, der Gott erwog sogar, den Knaben in den Olymp [3] zu erheben.
Oft verließ Apollon das heilige Delphi, um sich in der Nähe der Stadt Sparta [4] an der Gesellschaft des Knaben zu erfreuen. Und der Gott verschmähte es auch nicht, auf der Jagd mit Hyakinthos durch die rauen Höhen des Gebirges zu schweifen.
An einem Sommertage, als die Sonne ihre heißesten Strahlen hernieder sandte, warfen die Beiden ihre Gewänder ab, salbten ihre Körper mit Öl und übten sich im Wettkampf mit dem Diskus.
Apollon nahm zuerst die schwere Scheibe, schwang sie wägend in der Hand und schleuderte sie dann so gewaltig in die Höhe, dass sie am Himmel eine Wolke zerteilte.
Eifrig wollte Hyakinthos es dem Lehrer gleich tun. Darum sprang er auf, um die herabfallende Scheibe noch vor dem Aufprall mit den Händen zu fassen. Das runde Erz entglitt jedoch dem Knaben und prallte vom felsigen Grund mitten in sein jugendliches Angesicht.
Apollon eilte fassungslos herbei und nahm den niedersinkenden Freund in seine Arme. Verzweifelt suchte er die starren Glieder zu erwärmen , doch alle Mühsal konnte die fliehende Seele des Knaben nicht im Leben halten. Wie eine zarte Blume, im Garten geknickt, sank das Haupt des Knaben auf die Brust von Apollon.
Der Gott bedeckte nun das Antlitz des Sterbenden mit zärtlicher Hand und rief unter bitteren Tränen: "Nein, Knabe, dein Leben soll nicht umsonst gewesen sein. Du wirst als Blume auf ewig meinen Schmerz verkünden." So rief Apollon, und eine schöne Blume mit zahllosen Blüten wand sich aus dem blutgetränkten Boden hervor.
Diese Blume, die des Knaben Namen trägt, entsteht nun in jedem Frühling aufs Neue, und stirbt wie jener noch in den Tagen seiner Blüte. So erinnert sie die Menschen an die Vergänglichkeit alles Schönen, hier auf dieser Erde.
In Lakonien aber wurde fortan jährlich ein großes Fest gefeiert, die Hyakinthien. Bei diesem Fest dachte man in Wehmut an den früh verstorbenen Knaben, in Heiterkeit an den vergötterten Knaben.
Erklärungen:
[1] Lakonien ist eine griechische Landschaft des südlichen Peloponnes.
[2] Apollon, ein Sohn von Zeus, ist der Gott der Weissagung. Sein berühmtestes Orakel stand im griechischen Delphi.
[3] Der Olymp ist ein Gebirgsmassiv in Griechenland, das als Sitz der Götter verehrt wurde.