Georg Shelby
- Autor: Beecher Stowe, Harriet
Georg hatte nach Toms Begräbnis versucht, seiner Mutter von Toms tragischem Tod zu schreiben. Er brachte es aber nicht übers Herz und so erwartete die Familie eines Abends seine Ankunft, ohne zu wissen, dass er ohne Tom heimkehren würde. Tante Chloe war herausgeputzt und sehr aufgeregt. Alles Geld, was sie beim Konditor erarbeitet hatte, lag bereit. Sie wollte Tom zeigen, wie sehr sie an ihn gedacht und für ihn gearbeitet hatte. Der Tisch wurde auf das Sorgfältigste gedeckt und Tante Chloe fragte sich zum hundertsten Male, ob Tom überhaupt alle Kinder wieder erkennen würde.
Draußen hörte man Räderrollen. Mrs. Shelby ging an die Haustür. Tante Chloe stand am Fenster und starrte in die Dunkelheit. Wo war Tom? "Oh, arme Tante Chloe!", rief Georg und breitete die Arme aus. "Ich hätte alles gegeben, um Tom nach Hause zu holen, aber er ist in ein besseres Land gegangen." Mrs. Shelby stieß einen Schreckensschrei aus und Tante Chloe schwieg. Georg führte alle ins Wohnzimmer. Dort lag das Geld. "Ich will es nicht mehr sehen.", sagte Tante Chloe. "Nie wieder. Ich hab' gewusst, dass es so kommt. Verkauft und ermordet, da unten auf den alten Plantagen." Sie drehte sich um und wollte das Zimmer verlassen. Mrs. Shelby hielt sie fest und führte sie zu einem Stuhl. Dann setzte sie sich neben Tante Chloe. Tante Chloe legte einen Kopf an die Schulter ihrer Herrin und begann zu weinen. "Sie müssen entschuldigen, Herrin. Aber mein Herz will brechen, weiter nichts."
Eine Zeitlang herrschte Schweigen im Raum. Tränen flossen, nicht nur bei Tante Chloe. Schließlich setzte Georg sich auf, nahm Tante Chloes Hand und erzählte in einfachen Worten die Sterbeszene ihres Mannes und seine Botschaft der Liebe.
Etwa einen Monat später rief Georg Shelby alle Leute der Farm in der großen Halle zusammen. Er hatte einen Stapel Papiere bei sich. Es waren die Freilassungsurkunden, die er jedem einzelnen vorlas. Unter Schluchzen und Weinen drängten sich alle an ihn. Viele von ihnen hatten Angst vor der Zukunft, baten, sie nicht wegzuschicken und versuchten, ihm die Urkunden zurück zu geben. "Wir wollen nicht freier sein, als zuvor. Wir wollen hier nicht fort." Ihre Gesichter waren ängstlich.
"Gute Freunde!"; sagte Georg mit lauter Stimme. "Ihr braucht mich nicht zu verlassen. Ich brauche Arbeiter - nach wie vor. Aber ihr seid jetzt frei. Ich werde eure Arbeit entlohnen. Falls ich in Schulden gerate oder sterbe, kann keiner von euch geholt und verkauft werden. Das ist der Vorteil. Ich werde das Gut weiterführen und ihr könnt lernen, eure Rechte zu gebrauchen." Ein alter Sklave sah Georg fest in die Augen und erklärte: "Lasst uns dem Herrgott Dank sagen!" Alle stimmten ein Te Deum an, wie es vorher sicher nicht zu hören war.
"Und noch eins!", fuhr Georg fort. "Ihr alle habt den alten Onkel Tom gekannt. An seinem Grabe beschloss ich, niemals wieder einen Sklaven zu besitzen. Niemand soll durch mich der Gefahr ausgesetzt werden, von Heimat und Familie fortgerissen zu werden und auf einer einsamen Plantage sterben zu müssen so wie er. Wenn ihr euch jetzt über eure Freiheit freut, dann denkt an den alten Tom. Die Freiheit habt ihr ihm zu verdanken. Denkt an ihn, wenn ihr an seiner Hütte vorbeikommt. Lasst sie zum Denkmal werden und werdet ebenso treu und ehrlich und christlich, wie er es war!"
ENDE