Furcht im Haus an der Schlucht
- Autor: Stevenson, Robert Louis
Die Nacht war sehr dunkel, als wir uns auf den Weg machten. Der Weg, den wir verfolgten, führte über raue Felshänge, und obwohl Alan mit erstaunlicher Zielstrebigkeit voran ging, blieb mir völlig unklar, wie er sich zurechtfand.
Endlich kamen wir auf die höchste Höhe eines Berges und sahen unter uns Lichter. Es schien, als stehe eine Haustür offen und ein Schein von Feuer und Kerzen fiele heraus. Um das Haus und die Ställe eilten fünf oder sechs Menschen, alle mit brennenden Fackeln in den Händen.
"Jakob muss den Verstand verloren haben", sagte Alan. "Wenn jetzt Soldaten kämen, würden sie mit Leichtigkeit den Weg zu ihm finden!"
Darauf pfiff er dreimal auf eine ganz besondere Art. Beim ersten Ton standen alle Fackeln plötzlich still, als wenn ihre Träger erschrocken wären. Beim dritten Pfiff schienen sie beruhigt und setzten sich wieder in Bewegung.
Wir stiegen den Berg hinab und am Hoftor trat uns ein kräftiger, stattlicher Mann von über fünfzig Jahren entgegen. Alan und er begrüßten sich in gälischer Sprache.
"Jakob Stuart", sagte Alan, "ich möchte dich bitten schottisch zu sprechen. Es ist ein junger Gentleman in meiner Begleitung, der unsere Sprache nicht versteht. Er stammt aus dem Unterland."
Jakob von der Schlucht begrüßte mich sehr höflich. Gleich darauf wandte er sich wieder Alan zu. "Ein scheußliches Ereignis!", rief er. "Es wird Unglück über das ganze Land bringen!"
"Na, na", entgegnete Alan, "man muss auch das Gute sehen! Colin Roy ist tot! Seien wir dankbar dafür!"
"Ja", sagte Jakob, "aber ich wollte, er wäre wieder am Leben! Vergiss nicht, dass es in Appin geschehen ist! Wir müssen dafür büßen, und ich bin ein Mann mit Weib und Kind!"
Während sie so sprachen, sah ich mich nach den Dienstleuten um. Einige standen auf Leitern und wühlten im Dachstroh des Hauses oder der dazugehörigen Gebäude herum. Sie holten Gewehre, Schwerter und andere Waffen heraus. Andere trugen die Sachen weg. Ich hörte die Schläge von Hacken und schloss daraus, dass sie die Waffen vergruben.
Insgesamt herrschte aber ein ziemliches Durcheinander. Die Mienen der Leute waren überwältigt von Hast und Schrecken, und obwohl alle nur halblaut sprachen, verriet der Klang ihrer Worte Angst und Zorn.
Ein Mädchen brachte aus dem Haus in einem Bündel Alans französische Kleider, die ebenso wie die Waffen vergraben werden sollten. "Nie und nimmer!", schrie Alan. Er nahm das Bündel und zog sich in die Scheune zurück, um sich umzukleiden.
Jakob führte mich in die Küche und ließ sich mit mir am Tisch nieder. Allerdings beschäftigten ihn seine trüben Gedanken immer wieder. Sein Weib saß beim Feuer und weinte. Sein ältester Sohn hockte auf dem Boden und überflog Papiere, von denen er ab und zu eins verbrannte.
Ich war froh, als Alan in seinen französischen Kleidern herein trat. Ich erhielt auch neue Kleider und Schuhe, die ich schon lange nötig hatte.
Allen war klar, dass Alan und ich gemeinsam fliehen würden. Man gab jedem von uns Degen und Pistolen, obwohl ich eingestand, dass ich mit dem Degen nicht umgehen kann. Außerdem erhielten wir etliche Munition, einen Sack Hafermehl, eine Eisenpfanne und eine Flasche echten französischen Branntwein. Nun waren wir fertig für die Heide. Es fehlte jedoch Geld! Ich hatte noch ungefähr zwei Guineen. Alans Gürtel war von einem anderen Boten weiterbefördert worden, und er selbst hatte gerade noch ein Vermögen von siebzehn Penny. Jakob hatte so viel Geld für Anwaltskosten für die Pächter ausgegeben, dass er nicht mehr als drei Schillinge und fünfeinhalb Penny zusammenkratzen konnte.
"Das langt nicht!", sagte Alan.
"Du musst versuchen, irgendwo in der Nähe etwas aufzutreiben, denn die Sache darf nicht scheitern!", sagte Jakob. "Wenn sie von dir Wind bekommen, werden sie dir die Schuld an dem heutigen Unglück geben und kommt es auf dich, dann kommt es auch auf mich als deinem Stammesgenossen. Es wäre eine schlimme Sache für meine Freunde, wenn ich hängen müsste!"
"Es wäre ein schwarzer Tag für ganz Appin", erwiderte Alan.
Jakob sprach weiter: "Ich muss alles tun, um mich und meine Freunde zu retten. Wenn du dir alles richtig überlegst, wirst du verstehen, dass ich sogar einen Steckbrief gegen dich erlassen muss, ja, ich muss eine Belohnung auf deinen Kopf setzen. Schrecklich ist so was unter guten Freunden! Siehst du das ein?"
"Ja", erwiderte Alan, "ich sehe das ein."
"Also musst du fort aus der Gegend, Alan, ja weg aus Schottland überhaupt! Du und dein Freund aus dem Unterland, denn auch ihn muss ich steckbrieflich verfolgen. Siehst du das ein, Alan? Sag mir, dass du das einsiehst!"
Mir schien, als würde Alan ein wenig rot. "Das ist furchtbar hart für mich, der ich ihn hergebracht habe, Jakob", sagte er. "Es ist, als würde ich zum Verräter!"
"Aber Alan, Mann!", rief Jakob. "Sieh den Tatsachen ins Gesicht! Verfolgt wird er sowieso! Zweifellos wird Mungo Campbell einen Steckbrief gegen ihn erlassen. Was kommt schon darauf an, wenn ich dasselbe tue? Alan, ich habe Weib und Kind, und die Geschworenen sind lauter Campbells!"
"Ein Umstand ist günstig", sagte Alan, "seinen Namen weiß niemand."
"Sie werden ihn auch nicht erfahren! Darauf meine Hand, Alan!", rief Jakob, der ja meinen Namen auch gar nicht kannte. "Allerdings werde ich seine Sachen beschreiben müssen, in denen ihn Mungo gesehen hat."
Er erschien mir völlig mutlos. Er wollte jede Möglichkeit nutzen, um diese Zeit zu überstehen. In Gedanken sah er vor sich stets die Geschworenenbank, den Richterstuhl und den Galgen.
Alan wandte sich mir zu. "Nun, Sir, was meint Ihr zu alledem? Ihr seid hier unter dem Schutz meines Ehrenwortes, und es ist meine Aufgabe, dass Euch nichts geschieht!"
Ich antwortete, dass ich von dem ganzen Gespräch wenig verstanden hätte, aber dass ich der Meinung bin, dass die Strafe auch der bekommen solle, der geschossen hat! "Verfolgt ihn mit Steckbriefen, setzt Spürhunde auf seine Spur und lasst ehrliche, unschuldige Leute in Ruhe!"
Bei diesen Worten schrien Jakob und Alan entsetzt auf und geboten mir, den Mund zu halten.
"Also gut!", sagte ich. "Erlasst einen Steckbrief gegen mich, wenn Ihr nicht anders könnt, gegen Alan und König Georg! Wir sind schuldlos, alle drei." Dann überwand ich meinen kleinen Ärgeranfall. "Ich bin Alans Freund, und wenn ich Freunden von ihm helfen kann, will ich mich durch Gefahr nicht davon abhalten lassen."
Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, als Frau Stuart aus ihrem Stuhl aufsprang und zu uns gelaufen kam. Sie weinte an Alans Hals und dankte Gott, dass wir uns gegenüber ihrer Familie so großmütig zeigten.
Sie sagte: "Dieser Junge hat uns in der übelsten Zeit erlebt. Er hat das Bitten und Flehen meines Mannes gehört." Nun sprach sie zu mir: "Junger Mann, mir tut das Herz weh, weil ich Euren Namen nicht weiß, aber ich kenne Euer Gesicht! Und solange mir das Herz in der Brust schlägt, will ich es darin bewahren, will ich daran denken und es segnen."
Damit küsste sie mich und brach abermals in heftiges Schluchzen aus.
Alan und ich machten uns auf den Weg. Wir lenkten unsere Schritte etwas mehr ostwärts durch ebenso bergiges Land wie zuvor. Um uns war eine schöne, milde, dunkle Nacht.