Enteignet
- Autor: Twain, Mark
In Gedanken versunken weilte der König im Raum. Es war ihm nicht begreiflich, dass niemand nach ihm zu suchen schien. Miles, der eigentlich mit seiner eigenen Geschichte beschäftigt war, verstand ihn zuerst nicht. Doch dann hörte er seinem kleinen Freund zu.
"Weshalb werden keine Boten übers Land geschickt, die nach mir suchen?"
Miles sah seinen Freund mitleidig an. Er denkt immer noch, er sei der König, überlegte er.
"Ich werde einen Brief schreiben, in drei Sprachen. In lateinisch, griechisch und englisch und Ihr höchstpersönlich werdet ihn nach London bringen und meinem Onkel, Lord Hertford überbringen. Der wird meine Schrift erkennen und sofort jemanden mit Euch schicken", plante er.
Miles schlug ihm vor, zu warten, bis seine Leute ihn auf Hendon Hall wieder erkennen würden. Dann wäre er mächtiger. Doch der kleine König unterbrach ihn bestimmend: "Schweigt! Was sind eure kleinkarierten Sorgen gegen das Wohl eines Volkes." Er versprach freundlich, Miles zu seinem Recht zu verhelfen.
Eifrig begann er, mit einem Federkiel zu schreiben. Liebevoll sah Miles Hendon ihm zu und wäre er sich nicht sicher gewesen, dass er einen kleinen Bettler aufgelesen hatte, dann hätte er ihm vermutlich die Geschichte mit dem König abgenommen, so eindrucksvoll spielte der kleine Kerl seine Rolle. Wo er bloß diesen Tick herhatte. Ich muss mir zügig etwas einfallen lassen, sonst muss ich morgen nach London reiten.
Dann glitten seine Gedanken aber wieder zu seinen eigenen Sorgen. Er überlegte, wie sonderbar sich Lady Edith benommen hatte. Sie musste ihn erkannt haben. Was, wenn Hugh sie bedroht hatte. Er war schon immer ein gemeiner Kerl. Ich muss dringend mit ihr reden. Wenn ich sie daran erinnere, wie wir miteinander gespielt haben, wird ihr Herz weich werden. Sie kann mich doch nicht einfach verraten, immerhin haben wir uns einmal geliebt.
Er wollte gerade zur Tür, als sie geöffnet wurde. Lady Edith trat ein. Immer noch totenblass, doch mit selbstbewusstem Schritt. Traurig blickte sie ihn an. Miles wollte auf sie zueilen, doch Lady Edith wies ihn mit einer schlichten Handbewegung an, sich zu setzen. Sie selbst setzte sich gleichzeitig und vermied somit jegliche Vertrautheit zwischen ihnen.
"Sir, ich komme, Euch zu warnen", sagte sie sanft. "Eure Wahnvorstellungen sind gefährlich. Hugh ist ein mächtiger Mann und mein Gatte ist der Gebieter von gesamt Hendon Hall. Er würde Euch der Lügen bezichtigen und niemand im ganzen Land würde es wagen, ihm zu widersprechen. Niemand würde Euch helfen."
Bitter blickte Miles Lady Edith an. "Wohl wahr, wenn Hugh es schaffte, einen lebenslangen Freund zum Verräter zu machen, dann wäre es hoffnungslos, auf die Hilfe jener armseligen Leute zu hoffen, die weder durch Ehre noch durch Treue an mich gebunden sind."
Lady Edith errötete, doch ihre Stimme klang gefasst. "Ihr seid somit gewarnt. Geht fort von hier! Ich selbst bin seine Sklavin und dieser Mann ist ein Tyrann. Mein armer Vormund Miles und der liebe Arthur haben glücklicherweise ihren Frieden gefunden. Auch für Euch wäre es besser, als in Hughs Hände zu geraten. Zögert also nicht. Geht, bevor es zu spät ist."
Miles blickte die Börse an, die Lady Edith ihm reichte. Er wies sie zurück und bat: "Blickt in meine Augen und beantwortet mir eine Frage: Bin ich Miles Hendon?"
"Nein, guter Mann. Ich kenne Euch nicht."
Lady Edith beschwor sogar, ihn nicht zu kennen. Da konnte Miles sein Unglück kaum mehr fassen. Sie rief wieder: "Flieht, vergeudet nicht eure wertvolle Zeit."
Just in dem Moment eilten die Diener in die Halle. Obwohl sich Hendon verzweifelt wehrte, nahmen sie ihn gefangen. Zusammen mit dem kleinen König schleppten sie die beiden gefesselt ins Gefängnis.