Eine Hoffnung
- Autor: Poe, Edgar Allan
Augustus erzählte mir nur die wichtigsten Geschehnisse. Erst später sollte er mir die Einzelheiten berichten. Aus Angst, dass man ihn bereits vermisste, entschlossen wir uns, den Weg nach oben anzutreten. Ich war voller Ungeduld, endlich diesem schrecklichen Gefängnis zu entkommen. So war es mir egal, noch eine Zeit lang im Zwischendeck zu verbringen, während Augustus auskundschaftete.
Der Gedanke, Tiger im Koffer zu lassen, war mir unerträglich. Wir lauschten und mussten befürchten, der Hund sei tot. So entschloss ich mich, die Türe zu öffnen. Ausgestreckt und in tiefer Betäubung lag er da - doch immerhin lebte er noch. Zweimal hatte mir Tiger das Leben gerettet, was mich dazu bewog, das Tier auf keinen Fall im Stich zu lassen. Unter größten Mühen schleppten wir ihn mit.
Endlich kamen wir beim Loch an. Augustus kroch hindurch und ich schob Tiger hinterher. Ich selbst sollte vorläufig nahe der Öffnung auf der anderen Seite der Wand bleiben. Mein Freund versprach mir, mich mit Lebensmitteln zu versorgen und ich war froh, hier eine verhältnismäßig reine Luft atmen zu können.
An Bord des Grampus herrschten schlimme Zustände mit der Verstauung. Habe ich an anderer Stelle bereits die unordentlichen Verhältnisse im Kielraum beschrieben, so waren auch im Zwischendeck Tranfässer und verschiedenes Schiffsgerät wild durcheinander. Beim Loch, das Augustus herausgesägt hatte, war Platz für genau ein Fass; dies genügte mir als ziemlich bequeme Sitz- und Schlafgelegenheit.
Es war bereits heller Tag, als mein Freund seine Fesseln wieder angelegt hatte und glücklich in seiner Koje weilte. Kurz darauf kamen der Maat, Dirk Peters und der Koch herab. Wir hatten also gerade noch Glück gehabt. Sie unterhielten sich über das Schiff von den Kapverden, das sie vielleicht ausräubern wollten. Ich konnte von meinem Versteck aus alles hören.
Der Koch setzte sich auf Augustus Bett. Wäre er mit seinem Rücken an die über der Öffnung hängende Matrosenjacke gestoßen, wären wir entdeckt worden - was uns garantiert den Tod beschert hätte. Doch das Glück war uns hold und die Jacke war gut genug befestigt. Tiger lag am Fußende der Koje und schien wieder bei Vernunft zu sein.
Sobald der Maat und der Koch die Koje verlassen hatten, setzte Dirk Peters sich zu Augustus und begann eine gemütliche Unterhaltung, die wahrscheinlich auf seinen leicht alkoholisierten Zustand zurückzuführen war. Dirk Peters beantwortete offen die Fragen meines Freundes und erklärte, dass er sicher war, dass sein Vater inzwischen aufgefunden wurde. An jenem verhängnisvollen Tage seien um die sechs Segel vor Sonnenuntergang gesichtet worden.
Peters' war so überraschend freundlich, dass ich die Hoffnung hegte, mit seiner Hilfe wieder der Brigg mächtig zu werden. Dies teilte ich Augustus alsbald mit und er teilte meine Zuversicht. Jedoch machte er mich auch auf die Launenhaftigkeit dieses Mannes aufmerksam. Peters versorgte meinen Freund - und damit auch mich - mit Nahrungsmitteln. Ansonsten ließ man Augustus in Ruhe.
Des Nachts schlief ich in der Koje, die ich aber beim ersten Geräusch wieder gegen den Platz in meinem Versteck eintauschte. Tiger ging es in der Zwischenzeit wesentlich besser, er gewann seine Kräfte zurück.
Am zweiten Juli erlaubte der Maat meinem Freund, sich frei auf der Brigg bewegen zu dürfen, vorausgesetzt er wisse sich zu benehmen. Während drei Stunden bekam ich Augustus nicht zu sehen. Dann brachte er mir Essen und reichlich Wasser. Schlafen würde er weiterhin in der Koje.
In den nächsten Tagen ereignete sich nichts Besonderes. Peters war überaus freundlich zu Augustus. Er fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, mit den Meuterern eine Art Entdeckungsfahrt zu machen und erklärte meinem Freund, dass die Seeleute allmählich auf die Vorstellungen des Unterschiffers eingingen. Augustus erwiderte, dass er zwar gerne solche Abenteuerfahrten unternehmen würde, dass jedoch ein Seeräuberleben nichts für ihn wäre.
Die Männer stritten oft miteinander, manchmal mehr als heftig. Einmal wurde ein Harpunier über Bord geworfen. Es war zu spüren, dass die Partei des Maats in Führung gelangte. Die andere Partei war die des Kochs, zu der auch Peters gehörte.
Am fünften Juli kam gegen Tagesanbruch eine steife Brise von Westen her auf, die mittags zu einem Sturm anschwoll. Beim Raffen des Segels stürzte Simms, ein gewöhnlicher Matrose, ins Meer und ertrank. Er war stark angetrunken, gehörte zur Partei des Schiffskochs und niemand dachte auch nur daran, diesen Mann zu retten. Jetzt zählte die Besatzung des Schiffs noch dreizehn Personen und wir kamen noch dazu.
Der Sturm dauerte noch den ganzen nächsten Tag an. Durch die Fugen der Brigg drang üppig Wasser ein, das ständig ausgepumpt werden musste. Augustus packte ebenfalls mit an. Gegen Abend kam ein stattliches Schiff sehr nahe an uns vorüber. Vermutlich war es jenes, welchem die Meuterer auflauerten. Der Maat rief es an. Das Heulen des Sturms verschlang jedoch die Antwort. Kurz vor Mitternacht riss eine große Welle einen Teil der Backbordreling weg. Erst gegen Morgen ließ das Unwetter nach.
Am siebten Juli herrschte den ganzen Tag hindurch starker Wellengang. Der Grampus schlingerte entsetzlich, sodass im Kielraum einige Gegenstände herumrollten. Ich litt furchtbar an der Seekrankheit. Peters erzählte Augustus, dass zwei Leute zum Maat übergegangen seien und ebenfalls Seeräuber werden wollten. Gegen Abend machte ein Leck im Schiff sich immer mehr bemerkbar. Sie stopften es am Bug mit Segelgarn. So war das Schiff für den Moment wieder sicher.
Zur Zeit des Sonnenaufgangs am achten Juli wehte eine leichte Brise. Wir nahmen südwestlichen Kurs, da der Schiffer aufgrund seiner Seeräuberpläne eine westindische Insel anlaufen wollte. Peters und der Koch erhoben erst einmal keine Einwände. Jenes kapverdische Schiff hatte man vorüberfahren lassen und das Leck wurde in Schach gehalten, indem man regelmäßig an die Pumpen ging.
Am neunten Juli waren alle mit Ausbesserungen der Schäden beschäftigt. Das Wetter war herrlich. Peters besprach sich abermals mit Augustus und gestand ihm, dass er sich niemals mit den Plänen des Maats anfreunden könne. Er deutete die Absicht an, dem Maat die Brigg zu entreißen. Dazu fragte er meinen Freund, ob er in diesem Falle mit seiner Hilfe rechnen könne, was Augustus ohne zu zögern bejahte. Peters wollte daraufhin los, die anderen aus seiner Partei holen und ging den Rest des Tages seiner Wege.