Ein Opfer des Verrats
- Autor: Twain, Mark
So kam es, dass König Fu-Fu wieder mit dem Gesindel und den Landstreichern unterwegs war. Wieder war er das Ziel des Spottes und der Bosheiten von Canty und Hugo. Aber irgendwie mochten ihn die Leute auch - ausgenommen Canty und Hugo, die dem Knaben das Leben möglichst schwer machten.
Einmal kam es während eines Trinkgelages zu einem ernsten Handgemenge zwischen Hugo und dem kleinen König. Als Hugo wiederholt auf die nackten Zehen des Knaben stand, wehrte sich dieser und schlug ihn zur Freude der Bande mit einem Knüppel nieder. Die anderen schlossen Wetten ab, wer von den Beiden nun gewinnen könne. Doch Hugo hatte keine Chance, denn er wusste ja nicht, dass er es mit einem Meister im Fechten zu tun hatte, der von den besten Lehrern Europas unterrichtet worden war. Edward beherrschte jeden Kniff, er verteidigte sich in lockerer, wachsamer Haltung und parierte auf die wilden Stockschläge Hugos.
Bereits nach fünfzehn Minuten verließ Hugo verprügelt den Platz. Unter Beifall trug man den Gewinner auf den Schultern der Landstreicher zum Ehrenplatz an der Seite von Kraftprotz. Nun wurde er zum "König der Streithammel" ernannt.
Nur irgendwelche Arbeiten konnte man dem kleinen König nicht übertragen. Er weigerte sich weiterhin, der Bande zu Diensten zu sein. Er wollte weder betteln noch stehlen.
Am nächsten Morgen erwachte Hugo verbittert. Ihm stand der Sinn nach Rache. Er wollte seinen Feind in seiner vermeintlichen königlichen Würde treffen. Und wenn ihm das nicht gelingen würde, dann wollte er ihm eben ein Verbrechen anhängen, das ihn bestimmt ins Gefängnis oder gar an den Galgen treiben würde.
Äußerlich benahm sich Hugo gefasst, doch innerlich brodelte es in ihm und er wollte ihn mit Cantys Hilfe zwingen, auf der Straße zu betteln. Dazu wollte er ihm ein "Kalkpflaster" auflegen. Das war ein Stück Leder, auf dem man einen Brei aus ungelöschtem Kalk, abgekratztem Eisenrost und Seife auftrug. Dieses Leder band man um das Bein und in kürzester Zeit zerfraß dieses Teufelszeug die Haut und es entstand eine ekelhafte offene Fleischwunde.
Natürlich war es kein Problem für Hugo, einen Mittäter zu finden. Der Kesselflicker war mit von der Partie. Auf der nächsten gemeinsamen Tour banden sie dem Knaben so ein Kalkpflaster ums Bein. Der kleine König wehrte sich ausschweifend, doch ohne Erfolg. Zum Glück kam ihm der ehemalige Sklave zu Hilfe, der sich seinerzeit so bitter übers englische Gesetz ausgelassen hatte. Er befreite den König.
Natürlich wollte der König sich mit einem Prügel über die beiden Kerle hermachen. Doch der Sklave erklärte ihm, dass es gescheiter wäre, mit dieser Geschichte direkt zum Kraftprotz zu gehen. Der hörte interessiert zu und bestimmte dann, man möge den König fortan nicht mehr zum Betteln schicken. Der Knabe sei zu Höherem bestimmt und ab sofort sei er ein Dieb!
Das stimmte Hugo natürlich froh, denn er wollte schon mehrmals den König zum Stehlen bewegen - erfolglos. Doch nun würde sich der Knabe bestimmt nicht mehr widersetzen. Hugo war fest entschlossen, noch am selben Tag auf Diebestour zu gehen. Er würde es schon schaffen, diesen Taugenichts in die Hände des Gesetzes zu bringen. Auch wenn die Bande inzwischen den "König der Streithammel" mochte, würde ihm das gelingen.
Am Mittag ging Hugo mit seinem Opfer auf Tour. Scheinbar harmlos wanderten sie zu einem Dorf und hielten Ausschau nach einer günstigen Gelegenheit. Der eine für seinen bösen Plan, der andere für eine schnelle Flucht.
Schade, dass Hugo zuerst die Gelegenheit bekam. Eine Frau kam des Weges, ein dickes Bündel im Korb. Als sich die Frau einige Schritte an ihnen vorbei bewegt hatte, flüsterte er dem kleinen König zu: "Bleib stehen, ich bin gleich wieder da!"
Der kleine König wollte eigentlich die Gunst der Stunde zur Flucht nutzen, doch er hatte kein Glück. Hugo packte das Bündel der Frau, rannte zurück und wickelte im Laufen seinen Fang in eine alte Decke. Es ging alles so schnell, dass die Frau ihn nicht gesehen hatte, aber aufgrund des leichteren Gewichtes im Korb merkte, dass etwas fehlte. Sie kreischte laut und stürzte dem Dieb nach.
Hugo rannte an dem König vorbei, warf ihm das Bündel in die Arme und rief, er solle ihn mit den anderen verfolgen und "haltet den Dieb" rufen. Er möge nur darauf achten, alle in die Irre zu führen. Sekunden später war Hugo in einem kleinen Sträßchen verschwunden, um kurz darauf mit unschuldigem Gesicht hinter einem Pfosten wieder aufzutauchen.
Entrüstet hatte der kleine König das Bündel auf die Straße geworfen. Das Diebesgut lag nun auf offener Straße. Die Frau bemerkte es sofort. Es kamen immer mehr Menschen. Sie packte mit einer Hand ihr Bündel und mit der anderen griff sie nach dem kleinen König. Nebenbei schimpfte sie ihn, wie er es vorher noch nie gehört hatte.
Hugo beobachtete zufrieden, wie sein Feind in der Falle saß. Schadenfroh begab er sich auf den Weg ins Lager und überlegte sich ein glaubhaftes Märchen, das er dem Kraftprotz auftischen wollte.
Der kleine König wollte sich dem festen Griff der Frau entwinden und sie davon überzeugen, dass er nichts damit zu tun hatte. Unter den Menschen, die das Geschehen beobachteten waren kräftige Handwerker, die sich bereits anschickten, den armen König zu verdreschen.
Just in dem Moment sauste ein langes Florett mit der flachen Klinge auf dem Arm des Mannes nieder. Der kühne Eigentümer sagte: "Aber, aber, lasst uns Ruhe bewahren. Diese Angelegenheit sollte vom Gesetz geregelt werden. Gute Frau, gebt den Jungen frei!"
Der Mann rieb seinen Arm und ging davon, froh, nicht verletzt zu sein. Auch die Frau ließ den Jungen los und die Menschenmenge war klug genug, zu schweigen. Erfreut und mit roten Wangen sprang der kleine König zum Reiter: "Ihr seid gerade noch im rechten Moment eingetroffen, Sir Miles. Diese Bagage gehört gevierteilt."