Ein Abend in Onkel Toms Hütte
- Autor: Beecher Stowe, Harriet
Onkel Toms Hütte war ein kleines Blockhäuschen neben dem "Haus", wie die Schwarzen die herrschaftliche Wohnung bezeichneten. Ein sauberes Stück Garten grenzte an die Vorderfront, in dem jeden Sommer Erdbeeren, Himbeeren und manch andere Früchte und Gemüse unter sorgfältiger Pflege gediehen. Eine große rote Begonie und eine einheimische Heckenrose wucherten ebenfalls an der Vorderseite und ließen kaum ein Fleckchen der rohen Balken frei. Hier wuchsen im Sommer in bunter Eintracht Ringelblumen, Petunien und Löwenmäulchen und entfalteten unbekümmert ihren Glanz, ganz zur Freude von Tante Chloe.
Das Abendessen im Herrenhause war vorbei, und Tante Chloe, die als erste Köchin alle Vorbereitungen überwachte, hatte untergeordneten Kräften das Geschäft überlassen, das Geschirr wegzuräumen und zu waschen, um nun unter ihrem eigenen gemütlichen Dach ihrem Alten das Abendessen zu bereiten. Voll Spannung sah sie, was in der Pfanne brutzelt. Ihr dickes Gesicht strahlt unter dem gut gestärkten karierten Turban vor Zufriedenheit. Auch ein wenig Selbstbewusstsein mischt sich darunter, denn schließlich war Tante Chloe die beste Köchin der ganzen Gegend.
Tante Chloe war Köchin aus Leidenschaft.
Jede Henne, Truthenne oder Ente auf dem Hofe fürchtete ihren Anblick. Tante Chloe war im Kopf immer so sehr mit Schlachten, Füllen und Braten beschäftigt, dass jedes Huhn, das noch lebte, darüber erschrecken konnte. Ihr Maiskuchen in allen seinen zahllosen Varianten war ein heiliges Geheimnis und ihr dicker Bauch bog sich vor ehrlichem Stolz und Freude, wenn sie von den vergeblichen Anstrengungen der einen oder anderen Konkurrenz erzählte. Waren Gäste im "Haus" erwachten ihren Lebensgeister. Nichts liebte sie so sehr wie den Anblick von Reisekoffern auf der Veranda, die ihr heiße Küchenschlachten und neue Triumphe verhießen.
Jetzt gerade aber ist Tante Chloe in den Anblick ihrer dampfenden Kuchenform vertieft. Lassen wir sie bei dieser Beschäftigung und betrachten die Hütte eingehender.
In einer Ecke stand ein Bett, mit einer schneeweißen Decke bezogen, davor ein Stück Teppich von beachtlicher Größe. Auf dieses Stück Teppich war Tante Chloe sehr stolz. Zusammen mit dem Bett stand es für ein vornehmes Leben und wurde gehegt, gepflegt und gehütet. Auf dem Bett durfte nicht getobt werden, es war gewissermaßen der Salon der Hütte. Auf der anderen Seite stand ein weit weniger aufwändiges Bett, offensichtlich zum Gebrauch bestimmt. Bilder aus der Heiligen Schrift und das Porträt General Washingtons schmückten den Kamin.
In der dritten Ecke knieten auf einer Bretterbank ein paar Jungen mit schwarzen Haaren und funkelnden Augen. Sie überwachten die ersten Gehversuche des Babys. Vor dem Kaminfeuer stand ein wackliger Tisch. Auf dem Tischtuch standen bunte Teller und Tassen - gedeckt für eine Mahlzeit, die bald beginnen sollte. An diesem Tisch saß Onkel Tom, Mr. Shelbys Vorarbeiter und der Held dieser Geschichte. Er war groß und kräftig und strahlte ernste und verständige Ruhe aus, Wohlwollen und Freundlichkeit spiegelte sich in seinen Augen. Neben Würde und Selbstbewusstsein drückte seine gesamte Erscheinung eine bescheidene Einfachheit aus.
Er war in seine Schreibübungen vertieft. Auf einer Schiefertafel malte er Buchstaben, wobei ihn der junge Herr Georg, ein frischer Junge von dreizehn Jahren, beaufsichtigte. Er korrigierte Onkel Tom und ermutigte ihn, wenn er Fehler gemacht hatte. Tante Chloe beobachtete die beiden und blickte den jungen Georg bewundernd an, der mit Leichtigkeit Buchstaben produzierte. Sie war dankbar dafür, dass er jeden Abend herüber kam und seine Lehrstunden abhielt. Georg sah auf. "Tante Chloe, ist dein Kuchen bald fertig? Ich bin so hungrig." Tante Chloe spähte in die Form und sagte: "Gleich, mein Junge, gleich. Er wird schön goldbraun." Sie legte den Deckel beiseite und brachte einen herrlichen Kuchen zum Vorschein. Kein Konditor in der Stadt hätte sich für diesen Kuchen schämen müssen. Danach richtete sie das restliche Abendmahl und hieß die Männer ihre Sachen zusammenpacken. Sie legte Würstchen und Puffer vor und der junge Georg langte kräftig zu, obwohl er besser nach Hause gegangen wäre.
"Tom Lincoln behauptet, dass ihre Jinny besser kocht als du.", sagte der junge Herr Georg mit vollen Backen kauend. Das regte Tante Chloe nicht im mindestens auf und sie begann darüber zu reden, dass die Lincolns nicht annähernd eine so feine Herrschaft wären wie die Shelbys. Sie endete mit einem Seufzer: "Ach, junger Herr, ihr ahnt ja nicht, wie gut ihr es habt in eurer Familie und mit eurer Erziehung."
"Ach ja, Tante Chloe, ich weiß schon, dass ich es gut habe bei all den Pasteten und Puddings.", sagte Georg. "Frag Tom Lincoln, ob ich nicht jedes Mal Rad schlage vor Stolz, wenn ich ihn sehe." Tante Chloe lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und brach über diesen Witz ihres jungen Herrn in ein herzliches Lachen aus. "Da hast du es Tom aber gegeben. Radschlagen. Was für ein Unsinn. Da lachen ja die Hühner." So lief die Unterhaltung munter fort, bis selbst der junge Herr Georg keinen Krümel mehr essen konnte. Er zog sich mit Tom in die gemütliche Kaminecke zurück und Tante Chloe buk neue Puffer für die anderen Kinder, das Baby und sich selbst.
Schließlich waren alle satt und Tante Chloe schickte die Jungs nach draußen, um sich am Brunnen zu waschen.
"Hat man je schon so eine Bande gesehen?" sagte Tante Chloe stolz und kramte ein altes Handtuch hervor. Sie goss etwas Wasser aus der gesprungenen Teekanne darauf und wusch den Sirup von dem Gesicht und den Händen des Babys. "Ist sie nicht eine gelungene Person?", fragte Tante Chloe und hielt Polly - so hieß das Baby - auf Armeslänge von sich. Tom nahm das Baby und setzte es sich auf die Schulter. Er fing an, in der Hütte herumzutanzen. Pete und Mose, die beiden anderen Jungen kamen vom Waschen zurück und tanzten mit. Es war sehr laut und sehr lustig. Schließlich zog Tante Chloe ein Rollbrett hervor und wollte Pete und Mose ins Bett stecken. Aber der junge Herr Georg bat, dass sie zur Abendandacht aufbleiben dürften und so erlaubte Tante Chloe es ihnen. Alle beratschlagten nun, wie die Abendandacht zu halten sei, die schon seit undenklichen Zeiten in Toms Hütte stattfand.
"Wir haben nicht genug Stühle.", sagte Tante Chloe. "Komm, Alter, hol' deine Fässer herein." Und so wurden zwei Fässer hereingeholt und mit Steinen am Wegrollen gehindert. Darüber legte man Bretter. Danach stürzte man alle Eimer und Wannen um, richtete die wackligen Stühle her und nun konnte die Abendandacht beginnen. Der junge Herr Georg wurde gebeten, dass Evangelium zu lesen und bald füllte sich die Hütte mit einer buntern Gesellschaft. Es kamen junge Burschen von fünfzehn Jahren und alte grauköpfige Männer von achtzig Jahren. Es wurde ein wenig geredet und der neueste Klatsch ausgetauscht und dann begann schon das gemeinsame Singen. Georg las das letzte Kapitel der Offenbarung vor und wurde durch manchen Zwischenruf unterbrochen. "Wie wunderbar!" und "Hört, hört!" Georg flocht eigene Erläuterungen in den Text und wurde dafür von den jungen Menschen bewundert und von den Alten gesegnet.
Während in Onkel Toms Hütte die Abendandacht stattfand, gingen im "Haus" ganz andere Dinge vor sich. Der Händler und Mr. Shelby saßen zusammen an einem Tisch, bedeckt mit Papieren und Schreibgeräten. Mr. Shelby zählte Banknoten, die er dem Händler zuschob, der sie ebenfalls zählte. Dann unterschrieb Mr. Shelby einen Kaufvertrag. Er unterschrieb hastig und wie ein Mann, der ein lästiges Geschäft hinter sich bringen will. Haley brachte dafür aus seiner Brieftasche ein abgenutztes Pergament zum Vorschein und händigte es Mr. Shelby aus. "Das wäre erledigt.", sagte er zufrieden. "Sie sehen aber gar nicht glücklich aus." Mr. Shelby stand auf. "Haley, vergessen Sie nicht, dass sie mir zugesichert haben, Tom nur in gute Hände zu verkaufen. Verkaufen Sie ihn nicht in unbekannte Verhältnisse." "Das haben Sie doch selbst eben getan.", grinste Haley. "Aber ich werde natürlich mein Bestes tun, Tom eine gute Stelle zu besorgen. Grausamkeit gehört - so weit ich weiß - nicht zu meinen Fehlern." Er lachte und Mr. Shelby entließ den Händler stillschweigend und widmete sich nachdenklich seiner Zigarre.