Die Geschichte vom Kalif Storch
- Autor: Hauff, Wilhelm
[von Wilhelm Hauff]
Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag behaglich auf seinem Sofa. Er hatte ein wenig geschlafen, denn es war ein heißer Tag. Nun sah er nach seinem Schläfchen recht heiter aus. Der Kalif rauchte eine lange Pfeife aus Rosenholz, trank hier und da ein wenig Kaffee, und strich sich vergnügt den Bart. Kurz um, man sah dem Kalifen an, dass es ihm recht wohl war.
Um diese Stunde konnte man gut mit ihm reden, und deswegen besuchte ihn auch sein Großwesir Mansor jeden Tag um diese Zeit. An diesem Nachmittag kam er nun wieder zum Kalifen, sah aber sehr nachdenklich aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat die Pfeife ein wenig aus dem Mund und sprach: "Warum machst du so ein nachdenkliches Gesicht, Großwesir?" Der schlug seine Arme ineinander, verneigte sich vor seinem Herrn und antwortete: "Herr, ob ich ein nachdenkliches Gesicht mache, weiß ich nicht. Aber da unten am Schloss steht ein Krämer, der hat so schöne Sachen, dass es mich ärgert, kein Geld übrig zu haben."
Der Kalif, der seinem Großwesir schon lange eine Freude machen wollte, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Krämer heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Krämer zurück. Dieser war ein kleiner, dicker Mann, ganz schwarzbraun im Gesicht und in zerlumptem Anzug. Er trug einen Kasten, in dem er allerhand Waren hatte: Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und Kämme.
Der Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif kaufte für sich und Mansor schöne Pistolen, für die Frau des Wesirs aber einen Kamm. Als der Krämer seinen Kasten dann wieder zumachen wollte, sah der Kalif noch eine kleine Schublade und fragte, ob etwas darinnen sei. Der Krämer zog die Schublade heraus und zeigte eine Dose mit schwärzlichem Pulver und ein Papier mit sonderbarer Schrift, die keiner von ihnen lesen konnte. "Ich bekam diese zwei Stücke von einem Kaufmann, der sie in Mekka auf der Straße fand", sagte der Krämer. "Ich weiß nicht, was sie enthalten. Ich werde sie euch für einen guten Preis geben, denn ich kann ja doch nichts damit anfangen."
Der Kalif hatte in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte, auch wenn er sie nicht lesen konnte. Also kaufte er Schrift und Dose und entließ den Krämer. Nun dachte der Kalif, es wäre gut zu wissen, was die Schrift enthalte. Da fragte er den Wesir, ob er jemand kenne, der es entziffern könne.
"Gnädigster Herr und Gebieter", antwortete dieser, "an der großen Moschee wohnt ein Mann, der Selim heißt. Er ist ein Gelehrter und versteht alle Sprachen. Schicke nach ihm! Vielleicht kennt er die geheimnisvollen Zeichen."
Der Gelehrte Selim war bald herbeigeholt. "Selim", sprach der Kalif zu ihm, "man sagt, du seiest sehr gelehrt. Guck einmal ein wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst. Kannst du sie lesen, so bekommst du ein neues Festkleid von mir. Gelingt es dir nicht, so bekommst du zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen, weil man dich umsonst Selim, den Gelehrten, nennt."
Selim verneigte sich und sprach: "Dein Wille geschehe, oh Herr!" Lange betrachtete er die Schrift, doch dann rief er plötzlich aus: "Das ist Lateinisch, oh Herr, oder ich lasse mich hängen." "Sag, was du lesen kannst", befahl der Kalif, "wenn es denn Lateinisch ist."
Selim fing an zu übersetzen: "Mensch, der du dieses findest, preise Allah für seine Gnade. Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft und dazu Mutabor' spricht, der kann sich in jedes Tier verwandeln und versteht auch die Sprache der Tiere. Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er sich dreimal gen Osten und spreche wieder das Zauberwort. Aber hüte dich! Wenn du verwandelt bist, darfst du nicht lachen, sonst verschwindet das Zauberwort aus deinem Gedächtnis, und du bleibst für immer ein Tier."
Als Selim, der Gelehrte, alles vorgelesen hatte, war der Kalif über die Maßen vergnügt. Er ließ den Gelehrten schwören, niemandem etwas von dem Geheimnis zu sagen und schenkte ihm ein schönes Kleid. Zu seinem Großwesir aber sagte er: "Das nenne ich einen guten Kauf, Mansor! Wie freue ich mich darauf, ein Tier zu sein. Morgen früh kommst du zu mir. Wir gehen dann miteinander aufs Feld, schnupfen etwas aus meiner Dose und belauschen, was in der Luft und im Wasser, im Wald und auf dem Feld gesprochen wird!"
Kaum hatte sich der Kalif Chasid am anderen Morgen angekleidet und gefrühstückt, da kam schon der Großwesir, wie befohlen. Der Kalif steckte die Dose mit dem Zauberpulver in den Gürtel und machte sich mit dem Großwesir ganz alleine auf den Weg. Sie gingen zuerst durch die weiten Palastgärten, spähten aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr Kunststück zu probieren. Der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an einen Teich zu gehen. Dort hatte er schon oft Tiere gesehen, namentlich Störche, die mit ihrem Geklapper seine Aufmerksamkeit erregt hatten.
Der Kalif war mit den Vorschlag einverstanden. Als sie am Teich angekommen waren, sahen sie einen Storch auf und ab gehen, der nach Fröschen suchte. Zugleich sahen sie auch weit oben in der Luft einen anderen Storch heranschweben.
"Ich wette meinen Bart, gnädigster Herr", sagte er Großwesir, "dass diese beiden Langfüßler ein schönes Gespräch miteinander führen werden. Wie wäre es, wenn wir uns in Störche verwandeln?" "Wohl gesprochen!", antwortete der Kalif. "Aber vorher wollen wir noch einmal nachdenken, wie man wieder Mensch wird. - Richtig! Dreimal gen Osten geneigt und Mutabor gesagt, dann sind wir wieder Kalif und Wesir. Und es darf nicht gelacht werden, sonst sind wir verloren!"
Schnell zog der Kalif die Dose aus dem Gürtel, nahm eine gute Prise und bot sie auch dem Großwesir an, der gleichfalls schnupfte. "Mutabor!", riefen sie, und schon schrumpften ihre Beine ein und wurden dünn und rot. Die schönen gelben Pantoffeln des Kalifen wurden unförmige Storchfüße, die Arme zu Flügeln, der Hals streckte sich und weiche Federn bedeckten den ganzen Körper.
"Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir", sprach der Kalif und staunte. "Beim Barte des Propheten, so etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen." "Danke untertänigst", erwiderte der Großwesir, "aber wenn ich es wagen darf, möchte ich doch behaupten, dass Eure Hoheit als Storch fast noch hübscher aussieht. Kommt, wir wollen unsere Kameraden belauschen und erfahren, ob wir wirklich Storchisch verstehen."
Nun war auch der andere Storch auf der Erde angekommen. Er putzte sich mit dem Schnabel die Füße, legte seine Federn zurecht und ging auf den ersten Storch zu. Die beiden neuen Störche aber beeilten sich, näher zu kommen, und vernahmen folgendes Gespräch:
"Guten Morgen, Frau Langbein, so früh schon auf der Wiese?" "Schönen Dank, Frau Klapperschnabel! Ich habe mir nur ein kleines Frühstück geholt. Ist euch vielleicht ein Viertelchen Eidechse gefällig oder ein Froschschenkel?" "Danke, danke, ich habe heute gar keinen Appetit und bin auch aus einem ganz anderen Grund hier auf dieser Wiese. Ich soll heute vor den Gästen meines Vaters tanzen, und da will ich im Stillen ein wenig üben."
Darauf machte die junge Störchin höchst ungewöhnliche Bewegungen. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach. Als sie dann aber auf einem Fuß stand und mit den Flügeln etwas tollpatschig wedelte, da konnten sich beide nicht mehr halten. Ein unaufhaltsames Gelächter brach aus ihren Schnäbeln hervor, von dem sie sich lange nicht erholten. "Das war ein rechter Spaß, der nicht mit Gold zu bezahlen ist", rief der Kalif. "Schade, dass wir die Störche mit unserem Gelächter verscheucht haben, sonst hätten sie auch noch bestimmt gesungen!"
Doch jetzt fiel es dem Großwesir wieder ein, dass Lachen während der Verwandlung verboten war. Das sagte er dem Kalifen. Der erschreckte sich fürchterlich und rief: "Potz Mekka und Medina! Das wäre ein schlechter Spaß, wenn ich ein Storch bleiben müsste! Wie war denn nur das Zauberwort? - Ich glaube, wir müssen uns dreimal gen Osten bücken und mu, mu, mu' sprechen."
Sie stellten sich also gen Osten und bückten sich in einem fort, dass ihre Schnäbel beinahe die Erde berührten. Was für ein Jammer! Das Zauberwort war ihnen entfallen, und die Erinnerung daran war ihnen einfach entschwunden. Der arme Chasid und sein Wesir, sie mussten Störche bleiben.
Traurig stelzten die Verzauberten durch die Felder und wussten nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. In die Stadt konnten sie auch nicht zurück, denn wer hätte einem Storch geglaubt, dass er der Kalif sei. Und die Einwohner von Bagdad hätten bestimmt nicht einen Storch als Kalif gewollt.
So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich kümmerlich von Feldfrüchten, die sie mit ihren langen Schnäbeln nicht gut verspeisen konnten. Auf Eidechsen und Frösche hatten sie übrigens keinen Appetit, denn mit solchen Leckerbissen wollten sie sich den Magen nicht verderben. Ihr einziges Vergnügen war, dass sie fliegen konnten, und so flogen sie oft auf die Dächer von Bagdad, um zu sehen, was gerade passierte.
In den ersten Tagen bemerkten sie große Trauer in den Straßen. Am vierten Tage saßen sie aber auf dem Palast des Kalifen und sahen unten in der Straße einen prächtigen Aufzug. Trommeln und Pfeifen ertönten, und ein Mann in einem goldbestickten Scharlachmantel ritt auf einem geschmückten Pferd, umgeben von glänzenden Dienern. Halb Bagdad sprang ihm nach, und alle schrieen: "Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!"
Da sahen sich die beiden Störche an, und der Kalif Chasid sprach: "Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert bin, Großwesir? Dieser Mizra ist der Sohn des mächtigen Zauberers Kaschnur, der mir einst Rache schwor. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf! Komm mit mir, mein treuer Gefährte, wir wollen zum Grabe des Propheten Mohamed wandern. Vielleicht kann der Zauber an dieser heiligen Stätte gelöst werden."
Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von Medina zu. Mit dem Fliegen wollte es aber gar nicht gut gehen, denn die beiden Störche hatten noch wenig Übung. "Oh Herr", ächzte der Großwesir nach ein paar Stunden, "ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange aus. Ihr fliegt zu schnell! Auch ist es schon Abend, und wir täten wohl daran, eine Unterkunft für die Nacht zu suchen."
Chasid gab der Bitte seines Dieners nach. Und da er unten im Tale eine Ruine erblickte, die sich als Obdach zu eignen schien, flogen sie dorthin. Der Ort schien ehemals ein Schloss gewesen zu sein. Schöne Säulen ragten unter den Trümmern hervor. Mehrere Gemächer, die noch ziemlich erhalten waren, zeugten von der einstigen Pracht des Hauses.
Chasid und sein Begleiter gingen umher, um sich ein trockenes Plätzchen zu suchen. Plötzlich blieb der Storch Mansor stehen. "Herr und Gebieter", flüsterte er leise, "Mir ist ganz unheimlich zumute, denn neben mir hat etwas gestöhnt." Der Kalif blieb nun stehen und hörte ganz deutlich ein leises Weinen, das eher von einem Menschen als von einem Tiere zu kommen schien.
Voll Erwartung wollte er der Gegend zugehen, woher die Klagetöne kamen. Der Wesir packte ihn aber mit dem Schnabel am Flügel und bat ihn, sich nicht in neue, unbekannte Gefahren zu stürzen. Doch vergebens! Der Kalif riss sich mit Verlust einiger Federn los und eilte in einen finsteren Gang. Bald war er an einer Tür angelangt, die nur angelehnt schien. Er stieß die Türe mit dem Schnabel auf, blieb aber überrascht auf der Schwelle stehen.
In dem verfallenen Gemach, das nur ein kleines Gitterfenster hatte, sah er eine große Nachteule am Boden sitzen. Dicke Tränen rollten ihr aus den großen, runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre Klagen aus. Als sie aber den Kalifen und seinen Wesir erblickte, erhob sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte sie mit dem braun gefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge, und zum größten Erstaunen der beiden rief sie in gutem Arabisch: "Willkommen, ihr Störche! Ihr bringt mir ein gutes Zeichen für meine Rettung. Es ist mir einst prophezeit worden, dass ich durch Störche ein großes Glück bekommen werde!"
Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte er sich mit seinem langen Hals, und sprach: "Nachteule! Wenn ich deinen Worten glaube, muss ich eine Leidensgefährtin in dir sehen. Aber ach! Deine Hoffnung auf Rettung ist vergeblich. Du wirst unsere Hilflosigkeit erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst." Die Nachteule bat ihn zu erzählen, was der Kalif auch tat.
Als der Kalif alles vorgetragen hatte, dankte die Eule ihm und sagte: "Nun höre auch meine Geschichte. Mein Vater ist der König von Indien. Ich bin seine einzige unglückliche Tochter und heiße Lusa. Der Zauberer Kaschnur, der auch euch verzauberte, hat mich ins Unglück gestürzt. Er kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte mich für seinen Sohn Mizra zur Frau. Mein Vater aber, der ein aufbrausender Mann ist, ließ ihn die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wusste sich aber unter einer anderen Gestalt in meine Nähe zu schleichen. Als ich einst in meinem Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, als Sklave verkleidet, einen Trank, der mich in diese abscheuliche Gestalt verwandelte. Dann brachte er mich hierher und rief mir zu: Hier sollst du bis an dein Ende bleiben, oder bis einer aus freiem Willen dich zur Gattin begehrt, selbst in dieser schrecklichen Gestalt. So räche ich mich an dir und an deinem stolzen Vater.'
Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich als Einsiedlerin in diesem Gemäuer. Selbst den Tieren bin ich ein Gräuel, und die schöne Natur bleibt mir verschlossen, denn am Tage bin ich blind. Nur wenn der Mond sein bleiches Licht über dieses Gemäuer ausgießt, fällt der dunkle Schleier von meinem Augen."
Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes Nachdenken versunken. "Wenn mich nicht alles täuscht", sprach er, "steht unser Unglück in einem Zusammenhang, aber wo finde ich den Schlüssel zu diesem Rätsel?" Die Eule antwortete ihm: "Oh Herr! Ich spüre es auch, denn in meiner frühesten Jugend ist mir von einer weisen Frau prophezeit worden, dass ein Storch mir großes Glück bringen werde. Vielleicht kenne ich einen Weg, wie wir uns retten können."
Der Kalif war sehr erstaunt und fragte, was sie damit meine. Sie antwortete: "Der Zauberer, der uns unglücklich gemacht hat, kommt jeden Monat einmal in diese Ruinen. Nicht weit von meinem jämmerlichen Gemach hier ist ein Saal. Dort pflegt er mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe ich sie belauscht. Sie erzählen dann von ihren schändlichen Werken. Es könnte doch sein, dass einer das Zauberwort ausspricht, das ihr vergessen habt."
"Oh, teuerste Prinzessin!", rief der Kalif. "Wann kommt der Zauberer, und wo ist der Saal?" Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach: "Verzeiht mir, aber ich kann euren Wunsch nur unter einer Bedingung erfüllen. Ich will meine Freiheit erlangen. Dies kann aber nur geschehen, wenn einer von euch beiden mir seine Hand reicht."
Die Störche waren überrascht, und der Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen. "Großwesir", sprach der Kalif vor der Türe, "das ist kein guter Handel, aber Ihr könntet sie schon nehmen." "Oh weh", antwortete dieser, "meine Frau wird mir die Augen auskratzen, wenn ich nach Hause komme. Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr seid noch jung und unverheiratet. Mir scheint, Ihr solltet besser der jungen, schönen Prinzessin die Hand reichen." "Das ist es eben", seufzte der Kalif und ließ die Flügel traurig hängen. "Wer sagt mir denn, dass sie jung und schön ist? Das bedeutet, eine Katze im Sack zu kaufen!"
Sie redeten einander noch lange zu. Als der Kalif aber erkannte, dass sein Wesir lieber Storch bleiben als die Eule heiraten wollte, entschloss er sich, die Bedingung selber zu erfüllen. Die Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, dass die Zauberer schon in der kommenden Nacht sich einfinden würden. Darum verließ sie mit den Störchen das Gemach.
Sie gingen lange durch einem finsteren Gang, bis ihnen endlich ein heller Schein entgegenstrahlte. Als sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten durch eine Mauerlücke den ganzen Saal überschauen. Er war ringsum mit Säulen geschmückt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten das Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, auf dem die besten Speisen standen. Rings um den Tisch zog sich aber ein Sofa, auf dem acht Männer saßen. Die Störche erkannten sogleich den Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft hatte. Sein Nebenmann forderte ihn gerade auf, die neuesten Taten zu erzählen. Da erzählte er die Geschichte von dem Kalifen und seinem Wesir. "Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?", fragte ein anderer Zauberer. "Ein lateinisches," antwortete der Krämer. "Es heißt Mutabor."
Als die Störche das hörten, waren sie vor Freude fast außer sich. Sie liefen auf ihren langen Beinen so schnell zum Tor der Ruine, dass die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach der Kalif gerührt zu der Eule: "Du bist unsere Retterin. Dafür will ich nun dein Gemahl werden!" Dann aber wandten sich die Störche nach Osten und bückten sich dreimal der Sonne entgegen, die hinter dem Gebirge gerade aufging: "Mutabor!" riefen sie, und im Nu waren sie verwandelt. Da lagen sich Herr und Diener nun vor Freude in den Armen.
Wer beschreibt aber ihre Verwunderung, als sie sich umsahen? - Eine schöne Dame, herrlich geschmückt, stand vor ihnen. Lächelnd gab sie dem Kalifen die Hand und fragte: "Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?" Sie war es wirklich, und der Kalif war von ihrer Schönheit wie geblendet.
Glücklich zogen sie zu Dritt nach Bagdad. Dort erregte die Ankunft des Kalifen großes Erstaunen. Man hatte ihn für tot gehalten. Das Volk war hoch erfreut, den geliebten Herrscher heil und unversehrt wiederzusehen. Seine Geschichte wanderte aber schnell von Ohr zu Ohr, und der Hass richtete sich jetzt gegen den Betrüger Mizra. Das Volk zog zum Palast und nahm den alten Zauberer und seinen Sohn gefangen.
Der Kalif schickte den Alten nun in dasselbe Gemach, das die Prinzessin als Eule bewohnt hatte, und ließ ihn dort aufhängen. Der Sohn verstand aber nichts von den Künsten des Vaters, und sollte darum wählen, ob er sterben oder schnupfen wolle. Als er das Letztere wählte, reichte ihm der Großwesir die Dose. Eine tüchtige Prise und das Zauberwort verwandelten ihn sogleich in einen Storch. Der Kalif ließ ihn in einen eisernen Käfig sperren und in Garten aufstellen.
Kalif Chasid lebte noch lange vergnügt mit seiner Frau. Sein größtes Vergnügen blieb es aber, wenn der Großwesir ihn besuchte. Da sprachen sie dann oft von ihrem Storchabenteuer, und der Kalif ließ es sich nicht nehmen, den Großwesir als Storch nachzuahmen. Für die Frau Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung allemal eine große Freude. Wenn der Kalif aber gar zu lange klapperte und "mu, mu, mu" schrie, dann sagte der Wesir mit einem Augenzwinkern: "Wenn das so weitergeht, verneige ich mich gen Osten und sage das Zauberwort."