Die Erscheinung
- Autor: Dumas, Alexander
Der Tüchtigkeit der Polizei, die sich der noch jungen Erfindung des Telegrafen bedienen konnte, war es zu danken, dass der Mörder Benedetto in einem Gasthaus an der Landstraße verhaftet werden konnte. Man führte ihn, der eben aus der schwindelnden Höhe eines Prinzen Cavalcanti herabgestürzt war, in die Hauptstadt zurück.
Villefort war entschlossen, unbarmherzig zu sein. Die Akten sagten ihm deutlich genug, wer dieser junge Mann war: Bereits im Alter von sechzehn Jahren wegen Fälschung zu fünf Jahren Galeere verurteilt, entwich er, maßte sich Titel und Würden an, wurde zum Hochstapler und schließlich zum Mörder.
Valentine war noch nicht völlig wiederhergestellt; gelähmt vor Müdigkeit, hütete sie das Bett. Ihr Großvater, ihr Vater und einer Wärterin, die der Arzt abgestellt hatte, wachten abwechselnd rund um die Uhr bei ihr. Als sich die Wärterin einmal entfernte, glaubte sie dass die Türe sich öffnete, ohne das geringste Geräusch zu machen.
Sie erschrak bis in die Tiefe ihres Herzens, als plötzlich eine Erscheinung vor ihrem Bett auftauchte. Ein Mann, schwarz wie die Nacht, flüsterte: "Erschrecken Sie nicht, und schweigen Sie! Ich bin der Graf von Monte Christo. Ich habe das Nebenhaus gemietet, um Ihnen nahe zu sein, um Sie zu retten. Es gibt einen geheimen Gang, den ich benutze. Vertrauen Sie mir Valentine, Sie sind in größter Gefahr. Aber ich werde Ihnen helfen. Ich bin ein Freund Maximilian Morels, ja mehr als das, ich liebe ihn wie meinen Sohn!"
Nach einer Pause der Besinnung antwortete Valentine leise: "Da Sie sich auf Maximilian berufen, mein Herr Graf, so will ich Ihnen glauben. Und da Sie mir helfen wollen, sagen Sie mir, was ich tun muss."
"Valentine", erklärte er mit beschwörender Stimme, "Sie müssen nun sehr stark sein. Man will Sie ermorden. Drei Menschen mussten bereits vor Ihnen sterben!"
"Oh, du mein Gott! Aber warum?"
"Weil Sie reich sind, Valentine! Sie haben 200 000 Francs Rente, und dieses Geld entziehen Sie dem Sohn von Frau von Villefort "
"Meine Stiefmutter? Nein, das glaube ich niemals!"
"Hören Sie zu, dann werden Sie erkennen. Damit Sie erben, mussten Herr und Frau von Saint-Meran bereits sterben, damit Sie wieder erben, sollte Herr von Noirtier sterben, was deshalb misslang, weil er zufällig von seinem Arzt dasselbe Gift bereits in kleinen Mengen bekommen hatte und daher immun war. Doch nun hat er Ihnen sein Erbe vermacht, und jetzt sollen Sie dahingehen, damit der kleine Eduard in den Besitz all Ihrer Reichtümer kommen kann."
Valentine schwieg verwirrt.
"Was soll ich tun, mein Herr Graf?"
"Befolgen Sie meinen Rat. Was Ihnen auch widerfahren mag, erschrecken Sie nicht. Sie werden womöglich Ihr Gefühl und Ihr Gehör verlieren, fürchten Sie nichts. Wenn Sie erwachen, ohne zu wissen, wo Sie sind, haben Sie nicht Angst, und sollten Sie sich in einem Grabgewölbe oder in einem Sarg befinden, sammeln Sie sogleich Ihren ganzen Mut und sagen Sie sich, dass ein Freund über Sie wacht!"
Valentine heftete ihren Blick voll Dankbarkeit auf die dunkle Gestalt, wie ein Kind. Der Graf zog eine kleine Dose aus seiner Westentasche und reichte Valentine eine Pastille in der Größe einer Erbse. Valentine schob sie in den Mund und verschluckte sie. Monte Christo blieb noch bei dem Mädchen sitzen, das aufgrund der Narkosewirkung des Mittels langsam einschlief.
Am nächsten Morgen wurde das Haus Villefort von dem Schrei erschüttert: "Valentine ist tot!"