Die Ansichten von Toms neuer Herrin
- Autor: Beecher Stowe, Harriet
Wenige Tage nach der Ankunft in New Orleans saß die Familie am Frühstückstisch. "Ophelia wird dir nun alle Sorgen abnehmen. Du kannst dich erholen und jung und schön bleiben." , sagte St. Clare. Marie lächelte matt. "Sie wird feststellen, dass wir Hausfrauen hier selbst die reinsten Sklaven sind. Alle tun so, als würden wir die Sklaven aus Bequemlichkeit halten. Wenn es danach ginge, könnten wir sie alle freilassen." Eva sah ihre Mutter ernst an. "Warum lässt du sie dann nicht frei?" "Das weiß ich eigentlich auch nicht.", seufzte Marie theatralisch. "Sie sind alle gleich. Wahrscheinlich geht es mir ihretwegen immer so schlecht. Sie sind selbstsüchtig - sogar die besten unter ihnen." St. Clare sah Marie ernst an. "Selbstsucht ist ein schrecklicher Fehler." Marie nickte. "Genau. Nehmen wir Mammy. Ich habe die ganze Nacht furchtbares Kopfweh. Wenn ich Mammy brauche, dann kriege ich sie kaum wach. Wie kann sie schlafen, wenn es mir schlecht geht? Wenn ihr etwas an mir liegen würde, dann wäre sie wach und würde sich um mich kümmern." "Aber sie hat doch erst kürzlich mehrere Nächte bei dir gewacht, oder?", fragte Eva. Marie funkelte Eva an. "Hat sie sich etwa bei dir beschwert?" Eva schüttelte den Kopf. "Sie hat nur gesagt, dass du einige sehr unruhige Nächte hattest."
St. Clare mischte sich ein. "Können nicht Rosa oder Jane Mammy einmal vertreten? Vielleicht ist sie einfach müde und muss sich ausruhen." Marie fuhr auf. "Du weißt, wie nervös ich bin. Schon der kleinste Hauch weckt mich auf. Wenn ich mich so schlecht fühle, kann ich niemanden gebrauchen, der mich noch nervöser macht. Außer Mammy kann ich keinen ertragen. Ach, ich habe einfach kein Glück mit den Dienstboten." Marie schwieg einen Moment. Miss Ophelia presste die Lippen zusammen als müsse sie eine scharfe Antwort zurückhalten. "Mammy hat auch ihre guten Seiten.", fuhr Marie schließlich fort. "Sie ist leise und respektvoll. Aber sie ist eben selbstsüchtig. Wie sie immer noch ihrem Mann hinterher weint und ihren grässlichen Kindern. Ihr Mann war Schmied bei uns. Als ich heiratete und hierher zog, musste Mammy mich natürlich begleiten, aber mein Vater konnte ihren Mann nicht entbehren. Ich habe Mammy gleich gesagt, das Beste ist es, wenn die beiden sich für immer auf Wiedersehen sagen. Sie werden ja doch nicht mehr zusammen kommen. Sie sollte sich einfach nach einem anderen Mann umsehen. Aber nein - Mammy wollte nicht." "Vielleicht leidet sie unter der Trennung?", fragte Miss Ophelia vorsichtig. Marie lachte auf. "Was für ein Unsinn. Hätte sie die Kinder mitgenommen, hätte sie sich ja nicht um mich kümmern können. Und genau dazu ist sie doch da. Ich glaube, dass Mammy mir seit der Zeit irgendwie böse ist. Sie will niemand anders heiraten. Wenn sie könnte, würde sie sofort zurück zu ihrem Mann gehen, ganz egal, wie krank ich bin. Sie ist wirklich selbstsüchtig." "Wirklich schrecklich!", warf St. Clare trocken ein. "Ja. Und dabei verwöhne ich sie so. Schaut in ihren Schrank. Nur die besten Kleider. Aufgeputzte Kleider. Sie bekommt Tee oder Kaffee mit weißem Zucker. Aber das ist St. Clares Wille. Unsere Dienstboten leben in Saus und Braus."
Eva, die geduldig zugehört hatte, sagte: "Ich könnte bei dir wachen, Mama. Ich liege oft nachts wach und denke nach. Ich würde nicht einschlafen und ich würde dich auch nicht nervös machen. Mammy sagt, sie hat in letzter Zeit immer Kopfschmerzen." Marie sah Eva an. "Was für ein Unsinn, Kind. Du kannst nicht bei mir wachen und Mammy soll sich wegen ein bisschen Kopfweh nicht anstellen. Man darf die Dienstboten nicht in ihren Wehwehchen bestärken. Sieh mich an. Ich habe beinahe alle Tage Migräne und beklage mich nie. Ich sehe es als meine Pflicht, im Stillen zu leiden. Ja, ich ertrage meine Schmerzen mit Würde." Miss Ophelia bekam große Augen bei dieser Erklärung und St. Clare brach in schallendes Gelächter aus. "Ja, lach du nur. Das tust du immer, wenn ich auf meine schwache Gesundheit anspiele. Hoffentlich musst du das nicht einmal bereuen." Damit hob Marie ein Taschentuch an die Augen und schluchzte leise. St. Clares Lachen erstarb. Er sah auf die Uhr und entschuldigte sich. "Ein unaufschiebbarer Termin.", murmelte er und verließ das Zimmer. Eva lief ihm nach, so dass Ophelia mit Marie am Tisch zurückblieb.
"St. Clare sieht einfach nicht ein, dass ich leide. Dabei gehöre ich nicht zu den klagenden Frauen, die ihre Männer mit ihrer Litanei ermüden. Ich schweige und ertrage mein Leid. Deshalb denkt er, dass ich alles ertragen kann." Während Miss Ophelia noch überlegt, was sie bloß antworten sollte, trocknete Marie ihre Tränen und glättete ihre Sorgenfalten. St. Clare, für den der Auftritt ja gedacht gewesen war, hatte den Raum verlassen. Sie begann, mit Ophelia über hausfrauliche Dinge zu sprechen, über Vorratsschränke und Wäschekammern, über Schubladen und wie man mit dem Personal umzugehen habe. "Nun wissen Sie alles. Wenn mich also meine Anfälle heimsuchen, können Sie sich zukünftig allein zurechtfinden.", seufzte Marie. "Und nun noch ein Wort zu Eva. Sie ist ein seltsames Kind und mir so gar nicht ähnlich." "Gott sei Dank!", dachte Miss Ophelia im Stillen, schwieg aber klugerweise. "Sie hat einen Hang zum Personal. Sie stellt sich gleichsam mit dem, mit dem sie umgeht, auf eine Stufe. St. Clare bestärkt sie auch noch darin. Dabei gibt es bei Dienstboten nur eins: Sie nach unten drücken und unten halten. Eva verdirbt mir noch das ganze Haus. Rücksicht will sie nehmen. Auf die Dienstboten. Mammy soll schlafen!" Marie schüttelte empört den Kopf. "Aber vielleicht ist sie erschöpft? Vielleicht braucht sie wirklich Ruhe, wenn sie einige Nächte an Eurem Bett gewacht hat? Auch Dienstboten sind Menschen, die Ruhe brauchen, wenn sie müde sind, oder?", fragte Miss Ophelia.
Marie warf den Kopf zurück. "Natürlich. Alle sollen bekommen, was sie brauchen. Mammy kann ihren Schlaf nachholen. Sie schläft sowieso andauernd. Im Sitzen, im Liegen, im Stehen. Es ist die reinste Schlafsucht. Man darf Dienstboten nicht behandeln als wären sie kostbare Blumen." Sie griff nach einem eleganten Riechfläschchen und hauchte: "Wissen Sie, Ophelia, ich spreche nicht gern über mich selbst. Das liegt mir nicht. Mir fehlt die Kraft dazu. St. Clare versteht mich nicht. Er hat mich nie verstanden und meinen Wert nie richtig eingeschätzt. Im Grunde kranke ich daran, so glaube ich. Männer sind eigennützig und rücksichtslos, auch wenn St. Clare es wahrscheinlich gut meint." Ophelia schwieg, denn sie wusste nur zu gut, dass es nicht von Vorteil war, in Familienstreitigkeiten eingeweiht zu werden. Sie zog ihre Handarbeit aus der Tasche und begann energisch zu stricken. Marie hob das Fläschchen an die Nase und atmete tief ein. Dann fuhr sie fort: "Ich habe Vermögen und meine Dienerschaft in die Ehe mit St. Clare eingebracht. Ich kann damit machen, was ich möchte. St. Clare hat auch Vermögen und Dienerschaft. Damit kann er machen was er will, aber er soll mir nicht vorschreiben, wie ich mit meinen Leuten umzugehen habe. Manchmal denke ich, seine Leute sind ihm wichtiger als ich. Er lässt sie immer gewähren und krümmt nie einen Finger. Er hat zum Beispiel festgelegt, dass es in diesem Hause keine Schläge gibt. Ich bitte Sie! Sie können sich vorstellen, wohin das führt. Egal, was das Pack sich erlaubt, es gibt keine Schläge. Auch Sie werden lernen müssen, mit dem allem hier umzugehen, wenn Sie hier bleiben wollen. Für Sie ist das etwas ganz Neues. Dieses Volk ist dumm und nachlässig, dazu kindisch, unvernünftig und undankbar."
Marie schien ihr Leiden vergessen zu haben, setzte sich auf und setzte ihre flammende Rede fort. "Die Dienstboten schikanieren mich auf Schritt und Tritt, aber es macht keinen Sinn, sich bei St. Clare zu beschweren. Er sagt, wir sind an ihren Fehlern selber schuld. Und dass es unrecht wäre, sie für etwas zu bestrafen, an dem wir eigentlich die Schuld tragen. Er sagt, wir an ihrer Stelle würden es genauso machen. Als ob man uns mit diesen Leuten vergleichen könnte." "Kann man das nicht? Sind sie nicht auch wie wir aus Fleisch und Blut? Haben sie nicht wie wir eine unsterbliche Seele?", empörte sich Miss Ophelia nun. Marie gähnte. "Das alles bezweifelt ja niemand. Aber sie zusammen mit mir in einem Atemzug zu nennen, als ob die Möglichkeit eines Vergleichs bestünde! Als ob mein Verhältnis zu St. Clare mit dem von Mammy und ihrem Mann vergleichbar wäre. Stellen Sie sich vor, St. Clare hat vorgeschlagen, ich soll Mammy zurückschicken und einen andere Frau an ihrer Stelle beanspruchen. Und dass, obwohl ich so schwach und krank bin. Ich ertrage mein Leid ja sonst in der Stille, das sehe ich als meine Pflicht an, leiden und schweigen. Aber bei diesem Vorschlag gab es einen Sturm. Das können Sie glauben. St. Clare hat dieses Thema nie wieder berührt. Und doch weiß ich, wie er darüber denkt und das geht mir entsetzlich auf die Nerven." Miss Ophelia klapperte sehr energisch mit ihren Stricknadeln, schwieg aber weiterhin.
"Es erwartet sie also ein Haushalt, der völlig regellos ist. Die Dienstboten tun was sie wollen. Ich kann es mit meiner schwachen Gesundheit nicht verhindern. St. Clare weigert sich, es zu machen wie die anderen. Die schicken ihre Diener ins Gefängnis oder an einen anderen Ort und dort werden sie ordentlich ausgepeitscht. Das ist die einzige Möglichkeit, wie so ein schwaches Geschöpf wie ich sich Gehör verschaffen kann. Aber St. Clare lehnt dieses Verfahren völlig ab. Er hat ja auch keine Probleme mit den Dienstboten. Er schaut sie nur an. Er hat so eine Art zu gucken, da wird selbst mir angst und bange. Sie machen auch St. Clare keine Schwierigkeiten." Noch während Marie sprach, schlenderte St. Clare ins Zimmer. "Die alte Leier?", fragte er ungerührt. "Das böse Volk? Und wie faul sie sind. Und wir geben ihnen auch noch ein schlechtes Beispiel." "St. Clare. Du willst mich bloß verärgern.", schnaubte Marie. "Ach, Marie, lass gut sein. Ich musste Adolfo zurechtweisen, weil er zwischen mir und sich selbst nicht mehr recht unterscheiden kann und ich doch einige Kleider gern selbst tragen würde. Auch konnte ich ihm nur zwölf meiner Batisttaschentücher abtreten, das fand er skandalös."
"Ich bin froh, dass ich keine Sklaven habe. Ihr habt eine schreckliche Verantwortung mit der Sklavenhaltung übernommen. Ihr solltet eure Sklaven ordentlich erziehen und sie wie vernünftige Menschen behandeln. Sie sind Menschen mit einer unsterblichen Seele. Wir werden mit ihnen zusammen vor die Schranken Gottes treten." Ophelia holte tief Luft und sah St. Clare und Marie entschlossen an. "Was verstehst du von unseren Verhältnissen.", sagte St. Clare, stand auf und setzte sich ans Klavier. Er spielte eine schwungvolle Melodie, darum bemüht, seine Heiterkeit wieder zu finden. Schließlich stand er auf und sagte: "Nun hast du uns tüchtig die Meinung gesagt, Kusine. Du bist in meiner Achtung gestiegen." "Niemand tut mehr für seine Leute als wir.", ergriff Marie wieder das Wort. "Dabei danken sie es uns gar nicht. Ich erlaube ihnen, in die Kirche zu gehen. Dabei verstehen sie davon sowieso nichts.", sie unterbrach sich, um St. Clare anzufunkeln, der eine kleine Melodie piff. "St. Clare. Bitte lass' das Pfeifen. Es verursacht mir Kopfschmerzen. Ich wünschte, du hättest etwas mehr Mitgefühl mit meinem Leiden." "Mein lieber Klageengel." Vom Hof her drang fröhliches Lachen ins Zimmer. St. Clare trat an das Fenster und sah Eva, die mit dem gutmütigen Tom spielte. "Die Kinder sind die wahren Demokraten.", sagte St. Clare und betrachtete seine reizende Tochter.
Tom war froh, dass das Schicksal in das Haus der St. Clares geführt hatte. Er mochte die reizende Umgebung und er mochte Eva und ihren Vater. Tom war als persönlicher Begleiter Evas ausersehen worden, der alles andere liegen lassen sollte, wenn Eva ihn brauchte. Darüber hinaus hatte er die Aufsicht über einen Stallburschen. Andere niedrige und schmutzige Arbeiten durfte er nicht verrichten. Marie hatte ihn wissen lassen, dass sie nicht wünschte, dass er nach Pferdestall oder ähnlich schrecklichen Dingen roch. Also war Tom äußerst gut gekleidet, trug blitzende Stiefel und tadellose Manschetten.
Marie St. Clare pflegte sich am Sonntag der Frömmigkeit zu ergeben. Eben wollte sie - prächtig gekleidet und mit Diamanten geschmückt - sich in eine bekannte Kirche begeben. Sie war schön, schlank und anmutig. Miss Ophelia neben ihr wirkte völlig anders, schmucklos und schlicht, gerade wie eine Bohnenstange, während Marie die Anmut selbst zu sein schien. "Wo bleibt Eva?", fragte Marie. "Sie wollte Mammy noch etwas sagen.", antwortete Ophelia. Eva hatte die Arme um Mammy geschlungen. "Hier, nimm mein Riechfläschchen. Ich brauche es nicht, aber dir wird es gut tun. Vielleicht hilft es gegen deine Kopfschmerzen." Das Riechfläschchen war aus Gold und mit Diamanten besetzt. Die gute Mammy wehrte entsetzt ab, aber Eva ließ sich nicht beirren. Als Marie nach ihr rief, eilte Eva zu ihrer Mutter. "Wo bist du gewesen?" "Ich habe Mammy mein Riechfläschchen geschenkt. Sie hat immer starke Kopfschmerzen." "Du hast ihr dein goldenes Riechfläschchen geschenkt? Du dummes Kind! Sofort gehst du und holst es zurück.", schimpfte Marie. "Lass' das Kind in Ruhe. Wenn sie es verschenken will, soll sie es tun. Mammy wird es ihr danken.", mischte St. Clare ein. Er zog Eva in seine Arme. "Möchtest du gerne hier bleiben und mit mir spielen, statt in die Kirche zu gehen?" "Dir würde es auch gut tun, in die Kirche zu gehen.", ereiferte sich Marie. "Es reicht, wenn du gehst.", meinte St. Clare. "Wenn ich jemals in eine Kirche gehen sollte, dann würde ich mit Mammy gehen. Dort ist es nicht so langweilig." "Ach, wenn Gott sich wünscht, dass wir kommen, dann ist es doch nicht so viel verlangt. Ich schlafe auch nur manchmal ein, aber ich versuche immer, wach zu bleiben.", sagte Eva. "Du bist eine gehorsame kleine Seele. Geh' und bete für mich." St. Clare küsste Eva. "Das tue ich immer.", antwortete Eva und stieg in die Kutsche.
In der Kutsche sagte Marie zu Eva: "Weißt du, du sollst zu den Dienstboten freundlich sein, aber behandele sie nicht wie Verwandte oder Menschen wie unseresgleichen. Wenn Mammy krank wäre, würdest du sie doch auch nicht in deinem Bett schlafen lassen." Eva dachte nach. "Mein Bett ist weicher als Mammys Bett. Und ich könnte sie in meinem Bett viel besser pflegen." "Was kann ich nur tun, damit Eva versteht, worauf ich hinaus will?", fragte Marie verzweifelt. "Gar nichts!", entgegnete Ophelia.