Der dumme Hans
Es war einmal eine Frau, die mit ihren beiden Kindern in einem kleinen Häuschen lebte. Die Frau hatte ihr kleines Mädchen besonders lieb, doch der Junge bekam von ihr nichts Gutes zu hören. Die Mutter hielt ihm ständig vor, er wäre zu nichts zu gebrauchen. Grobe Arbeiten musste er aber trotzdem tun. Der Junge holte Holz im Wald, schälte die Kartoffeln, scheuerte die Fußböden und hütete das Vieh, doch ein Wort des Dankes bekam er nie. Er konnte es der Mutter einfach nicht recht machen, so sehr er sich auch mühte. Immer rief sie: "Du dummer Hans, ich hätte dich gar nicht in die Welt setzen sollen."
Die Zeit verging, und der dumme Hans konnte es schließlich nicht mehr ertragen. Traurig sprach er zur Mutter: "Ich arbeite wie ein Ochse und bekomme nur Schelte und Schläge. Ich will fortgehen und sehen, ob es in der Welt etwas Besseres für mich gibt." "Dann geh nur", sprach die Mutter, "so sparen wir wenigstens das Essen." Der dumme Hans fragte aber noch, ob er ein paar Sachen mitnehmen dürfte, doch die Mutter gab ihm nur ein altes Hämmerchen. Er nahm das Hämmerchen und machte sich auf den Weg.
§23 |
Alle Kinder sind gleich! Behinderte Kinder haben die gleichen Rechte wie alle anderen Kinder! Es gibt Kinder, die brauchen besonderen Schutz. Manche sind nämlich geistig behindert. Sie können nicht so gut denken und sprechen wie andere Kinder. Es gibt aber auch Kinder mit körperlichen Behinderungen. Sie können nicht so gut laufen, sehen oder hören. |
Am anderen Tag erblickte der dumme Hans ein prächtiges Schloss. Er klopfte an das Tor und drei schöne Mädchen öffneten ihm. "Wer bist du und was führt dich zu uns?", sprach die Älteste. Da antwortete er: "Meine Mutter sagt, ich wäre der dumme Hans. Ich möchte euer Vieh hüten." "Dann komm herein", sprachen das Mädchen, "einen Viehhirten können wir jetzt gut gebrauchen. Der letzte Hirte ist uns nämlich abhanden gekommen." Da war der dumme Hans sehr zufrieden, und die Mädchen versorgten ihn mit gutem Essen.
Am nächsten Morgen führte der dumme Hans die Kühe auf die Weide. Dort blieb er den ganzen Tag. Als er dann die Kühe zusammentreiben wollte, sah er einen silbernen Ritter, der stolz auf seinem Pferd dahergeritten kann. "Was treibst du herum!", rief der Ritter mit rauer Stimme. "Was geht euch das an?", antworte der dumme Hans. Da wurde der Ritter zornig und schrie: "Solch dumme Worte sollst du mir büßen!" Der Ritter zog sein Schwert, um es tödlich niederfahren zu lassen. Da warf der dumme Hans sein Hämmerchen und traf das Pferd genau zwischen den Augen. Das Pferd bäumte sich auf und warf den Ritter rücklings ab, worauf sich dieser den Nacken brach.
"Das hast du nun von deinem Zorn", sprach der dumme Hans und zog dem Toten die silberne Rüstung aus. Diese versteckte er im seinem Hirtenhäuschen und warf den Leichnam in den nahen Fluss. Dann trieb er die Kühe zurück zum Schloss, wo die drei Mädchen neugierig warteten. Sie hatten schon viele Hirten gehabt, doch alle waren auf der Weide verschwunden. "Seht nur", riefen sie, "der dumme Hans ist wieder da! Dafür soll er ein festliches Mahl erhalten." Das gefiel dem dummen Hans, und er aß, bis sein Bauch fast platzte.
Am anderen Morgen zog er wieder mit den Kühen auf die Weide und verbrachte dort den ganzen Tag. Als der dumme Hans die Kühe aber wieder zusammentreiben wollte, kam ihm ein Ritter in goldener Rüstung entgegen. "Was hast du hier zu suchen!", rief der Ritter mit stolzer Stimme. "Was geht euch das an?", antworte der dumme Hans. Da wurde der Ritter sehr zornig und schrie: "Welch dumme Worte aus deinem Mund. Das wirst du mir büßen!" Der Ritter zog sein Schwert und holte weit aus. Da warf der dumme Hans sein Hämmerchen und traf das Pferd genau zwischen den Ohren. Das Pferd bäumte sich auf und warf den Ritter im hohen Bogen ab, worauf dieser unglücklich in sein Schwert stürzte. "Hoppla," rief der dumme Hans, "ich wollte doch nur das Pferd erschrecken." Aber er machte sich nicht viel daraus und nahm die goldene Rüstung von dem Toten. Diese versteckte er wieder in seinem Hirtenhäuschen und warf den Leichnam in den Fluss. Die drei Mädchen im Schloss aber freuten sich sehr, auch an diesem Abend ihren Hirten wiederzusehen.
Nun kam der dritte Tag. Der dumme Hans ging wieder mit den Kühen auf die Weide. Als die Sonne schon tief am Himmel stand, trieb er die Kühe zusammen. Da sah er, wie sich auf einer anderen Weide eine große Falltüre öffnete. Ein vornehmer Edelmann kam daraus hervor und bestieg sein schneeweißes Pferd. Er hatte golddurchwirkte Kleider an, auf denen viele Diamanten nur so funkelten. Kaum hatte der Edelmann den dummen Hans erspäht, da kam er ihm auch schon entgegen. "Was treibt du hier, du loser Bursche?", sprach er. "Ich glaube, das geht euch gar nichts an", erwiderte der dumme Hans. Da war der Edelmann sehr zornig und zückte seinen Degen. Der dumme Hans aber warf dem Pferd sein Hämmerchen mitten auf die Nase. Auch dieses Mal bäumte sich das Pferd auf und warf seinen Reiter aus dem Sattel. Der Edelmann flog durch die Luft, stieß mit dem Kopf an einen Grenzstein und blieb mausetot dort liegen. "So ein Pech", sprach der dumme Hans und nahm dem Toten seine herrlichen Kleider. Diese versteckte er wieder im seinem Hirtenhäuschen, und warf den Leichnam in den Fluss.
Nun war der dumme Hans aber neugierig, was er unter der Falltüre wohl finden könnte. Er ließ die Kühe alleine nach Hause trotten und machte sich an der Tür zu schaffen. Da sprang sie auf und er stieg eine lange Treppe hinab. Ein prächtiger Saal tat sich vor ihm auf und an den Wänden hingen nur die schönsten Kleider. "Ha", rief der dumme Hans, "die brauche ich nicht!" Dann ging er sofort weiter. Im nächsten Saal standen die besten Speisen auf dem Tisch, und der dumme Hans ließ es sich gut und reichlich schmecken. Dabei schaute er sich aufmerksam um, und sah in einer Ecke ein kleines eisernes Türchen. Als er mit Essen fertig war, ging er dorthin und versuchte das Türchen zu öffnen. Das ging aber nicht, weil kein Schloss und keine Klinke zu sehen war. Jetzt ärgerte sich der dumme Hans doch sehr und schlug mit seinem Hämmerchen kräftig auf die Türe. Da zerbrach sie in tausend Stücke, und ein Berg aus Gold überschüttete den ganzen Boden. Der dumme Hans stopfte sich gleich die Taschen voll und wälzte sich vor Glück über den goldenen Boden. Jauchzend sprang er die lange Treppe hinauf und ließ die Falltür in den Rahmen krachen.
Die drei Mädchen im Schloss hatten sich schon große Sorgen gemacht, als die Kühe alleine nach Hause kamen. Da sahen sie aber den dummen Hans in der Ferne kommen. Er benahm sich ganz seltsam, fast wie eine verrückte Kuh. Er lief oft im Kreis, sprang mit den Füßen gegen die Bäume und krabbelte sogar ein Stück weit auf Händen und Füßen. Voller Mitleid sprach die Älteste: "Jetzt hat er wirklich seinen Verstand verloren." Doch dann kam der dumme Hans näher und die Mädchen sahen, welch schöne Kleider er am Leibe trug. Überall war Gold, und die Diamanten funkelten, dass die Mädchen es gar nicht wahr haben wollten. "Erkennt ihr mich", rief der dumme Hans, "ich bin doch euer Hirte!" Da freuten sich die Mädchen und fragten, warum er solch edle Kleider trage. Der dumme Hans erzählte es ihnen. Doch zum Schluss fragte er plötzlich die Älteste, ob sie ihn jetzt heiraten wolle. Bei so viel Reichtum fiel das dem Mädchen gar nicht schwer, und die Hochzeit ließ auch nicht lange auf sich warten. Der dumme Hans holte nun eine riesigen Haufen Gold aus der Erde, wofür er nicht weniger als sieben Tage brauchte.
Eines Tages fragte sich der dumme Hans aber, wie es der Mutter wohl gehe. Darum sprach er zu seiner Frau: "Ich will nach meiner Familie schauen und herausfinden, ob sie mich vermissen. Sie sollen aber nicht merken, dass ich ein reicher Mann geworden bin. Also werde ich in schlechten Kleidern vor sie treten. Du, meine liebe Frau, kommst in unserer schönsten Kutsche hinterher, und tust so, als wäre ein Rad vor dem Hause meiner Mutter gebrochen. Dann erbittest du ein Nachtlager." Und so geschah es.
Der dumme Hans zog seine alten Kleider an und ging nach Hause. Kaum hatten Mutter und Schwester ihn erblickt, da fingen sie wieder an zu schimpfen: "Du fauler Geselle, was willst du hier? Wir haben nichts für dich zu Essen." "Ach", flehte der dumme Hans, "habt doch Erbarmen mit mir! Ich kann nirgendwo mein Brot verdienen und werde noch vor Hunger streben." Das ging der Mutter dann doch ans Herz. Sie ließ ihn endlich herein und gab ihm die Kartoffeln zum Schälen.
Nun kam eine prächtige Kutsche gefahren und hielt ganz plötzlich vor dem Haus. Eine vornehme Dame stieg aus und klopfte leise an die Türe. Mutter und Schwester liefen zur Türe und sprachen mit tiefer Verbeugung: "Grüß Gott, euer Gnaden. Womit können wir euch dienen?" Die Dame erwiderte: "Meine Kutsche hat eine Radschaden, und mein Diener kann es heute nicht mehr beheben. Ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr mich zur Nacht aufnehmen könntet. Es soll auch nicht euer Schaden sein." "Gewiss, gnädige Frau", sprach die Mutter, "das lässt sich einrichten." Die vornehme Dame kam herein und die Mutter schupste den dummen Hans zum Feuermachen in die Küche. Er ließ es sich gefallen und sprach kein Wort. Nach dem Abendessen ging dann die Dame zeitig in ihr Schlafgemach. Der dumme Hans aber musste sich im Stall auf seine alten Blätter legen.
Am nächsten Morgen rief die Schwester in aller Frühe nach ihrem Bruder, doch nichts wollte sich rühren. Er war einfach verschwunden, worauf die Schwester nun selber das Frühstück machen musste. Als sie damit fertig war, ging sie zur Schlafkammer der vornehmen Dame und klopfte. Einmal, zweimal, und noch einmal. Es tat sich nichts. Das kam der Schwester komisch vor, und sie öffnete leise die Türe. Mit einem hellen Schrei schreckte sie zurück und lief entsetzt zur Mutter. Sie hatte den dummen Hans im Bett der Dame gesehen und konnte es nicht begreifen.
Die Mutter kam nun mit einem großen Knüppel gelaufen, und wollte den Sohn aus der Kammer treiben. Da rief die Dame: "Haltet ein! Ihr habt keinen Grund, meinen Ehemann zu schlagen." Mutter und Schwester standen wie angewurzelt in der Türe, worauf der dumme Hans ihnen die ganze Geschichte erzählte. Da schämten sich Mutter und Schwester fürchterlich, doch der dumme Hans konnte darüber nur lachen. Er ließ den beiden ein prächtiges Haus bauen, wo sie fortan in Ruhe und Frieden lebten. Der dumme Hans aber fuhr mit seiner Frau ins Schloss zurück und lebte dort glücklich bis an sein Lebensende.