Der Unbekannte
- Autor: Dumas, Alexander
In Livorno ging er zu einem Händler und verkaufte für hunderttausend Franken vier seiner kleinsten Diamanten. Am nächsten Tag kaufte er ein neues Boot, das er Jacopo schenkte. Dieser sollte für ihn nach Marseille gehen und über einen gewissen Louis Dantes und ein Mädchen namens Mercedes Erkundigungen einholen.
Jacopo glaubte er träume. Die Geschichte, die ihm Edmond präsentierte klang so glaubwürdig, dass er keine weiteren Fragen stellte. Am anderen Morgen segelte Jacopo nach Marseille und Edmond Dantes reiste nach Genua ab.
Für 60 000 Franken erwarb er eine Jacht, in der einen Geheimschrank mit drei Fächern einbauen ließ. Mit dieser Jacht steuerte er ganz alleine den Hafen von Monte Christo an. Bereits am Abend hatte er das ungeheure Vermögen an Bord gebracht und in den drei Fächern eingeschlossen. Er blieb mehrere Tage auf der Insel und wartete auf die Rückkehr von Jacopo, mit dem er sich hier verabredet hatte.
Am achten Tag erkannte er das Schiff von Jacopo und sein Gefährte überbrachte ihm traurige Mitteilungen. Den Tod seines Vaters hatte er voraus gesehen, aber was war aus Mercedes geworden? Dantes gab Befehl nach Marseille zu segeln. Er musste der Wahrheit selbst auf den Grund gehen. Er war sich sicher, dass ihn keiner erkennen würde, zu sehr hatte er sich verändert.
Im Hafen von Marseille, traf Edmond auf einen ehemaligen Matrosen der Pharao. Er schritt genau auf ihn zu und stellte ihm einige Fragen. Dieser antwortete freundlich, machte aber keinerlei Anzeichen, dass er den Herrn vor sich jemals gesehen hätte.
Dantes setzte seinen Weg fort; jeder Schritt, den er machte, erschütterte sein Herz. Die Erinnerungen schmerzten. Er kam zum Haus, das er mit seinem Vater bewohnt hatte. Vom Hausverwalter erfuhr er, dass Caderousse schon länger nicht mehr hier lebte. Er habe schlechte Geschäfte gemacht und führe nun eine Gastwirtschaft am Pont du Gard.
Einen Tag später erschien in der verwahrlosten Stube von Caderousse ein Abbé, dem er auf dessen Wunsch die teuerste Flasche Rotwein servierte. Der Geistliche gab sich als jener Priester aus, der einem Gefangenen, einem gewissen Edmond Dantes, die letzte Beichte abgenommen und dem Sterbenden die Vergebung seiner Sünden erteilt hatte.
Unter diesem Vorwand verstrickte er den verängstigten Wirt, den sein Gewissen plagte, in ein Gespräch, bei dem er ihm alles entlockte, was er wissen wollte. Seine Ahnungen bestätigten sich. Caderousse selbst war durch unglückliche Umstände in das schlimme Spiel hineingeraten und hatte die anderen gewähren lassen.
"Ich war dabei, als dieser verhängnisvolle Brief an den Staatsanwalt geschrieben wurde, das ist wahr", erklärte er mit erstickter Stimme.
"Und Sie haben sich nicht widersetzt?", fragte der Priester.
"Die beiden hatten mir so viel zu trinken gegeben, dass ich kaum noch bei Besinnung war! Ich schwieg. Vater, ich war ein Feigling, aber kein Verbrecher."
Edmond, denn niemand anders war dieser Geistliche, erkannte, dass die eigentlich Schuldigen Danglars und Fernand gewesen waren.
"Und beide wurden vom Glück auch noch belohnt", murmelte Caderousse. "Sie sind reich, wälzen sich in Millionen. Danglars ist zum Baron erhoben worden, er besitzt in Paris einen Palast."
"Und Fernand?"
"Der war noch glücklicher, er hat zugleich Vermögung und Stellung. Als Mercedes die Einsamkeit unerträglich wurde, heiratete sie Fernand. Sie haben einen Sohn, namens Albert."
"Einen Sohn", flüsterte Edmond. "Aber was ist mit dem Vater von Edmond, was wurde aus ihm?"
"Der arme Mann starb an Hunger. Er wollte sich von keinem helfen lassen. Obwohl es Menschen gab, die das wollten: die liebevolle Mercedes der brave Morel "
Dantes stand auf und trat ans Fenster. Lange starrte er in die öde, verlassene Landschaft. Er rang um Fassung. Endlich kehrte er zurück: "Sie sagten, der brave Morel, wie darf ich das verstehen?"
"Er bemühte sich sehr um Edmonds Vater, und versuchte, Edmonds Freilassung zu erwirken. Aber er hatte kein Glück. Heute ist auch er vom Ruin bedroht. Er verlor drei Schiffe auf Indienfahrten, und wenn das letzte, die Pharao, nicht heil zurückkehrt, endet er im Schuldenturm."
"So bliebe noch Herr von Villefort. Welche Rolle spielte er in dem Schurkenstück?", fragte Edmond.
"Das wüsste ich selbst gern", erwiderte Caderousse. "Er heiratete und verließ bald darauf Marseille. Ohne Zweifel wurde er so glücklich wie die beiden anderen."
"So verlasse ich Sie nun wieder", erklärte der vermeintliche Abbé. "Aber Sie haben mich davon überzeugt, wer unter diesen vieren der Einzige gewesen ist, der Edmonds Verzeihung bekommen hätte. Diesem, dem am wenigsten Schuldigen, also Ihnen, vermachte er diesen Ring, den ich Ihnen jetzt gebe. Er ist, selbst ohne die goldene Fassung, fünfzigtausend Franken wert. Werde glücklich damit, mein Sohn!"
Caderousse fiel auf die Knie, küsste dem Priester die Hand und nahm das kostbare, rot funkelnde Schmuckstück entgegen.