Der Sieger
- Autor: London, Jack
Am nächsten Morgen machten sich Francois und Perrault so ihre Gedanken, als Spitz nicht mehr auftauchte und Buck über und über mit Wunden bedeckt heranhinkte. Sie kamen zu dem Schluss, dass es nun weniger Ärger geben würde.
Als eingeschirrt wurde, hinkte Buck auf den Platz, den Spitz bisher als Leithund eingenommen hatte. Francois bemerkte das nicht und stellte Solleks an diese Stelle. Wie eine Furie fuhr Buck auf diesen los, warf ihn zur Seite und nahm den ersehnten Platz wieder ein.
Francois wollte ihn verjagen, aber Buck ging nicht. Der Mann packte ihn am Nackenfell und schob ihn zur Seite, um Solleks wieder an die Spitze des Gespanns zu setzen. Sobald er aber den Rücken drehte, hatte Buck den anderen wieder zur Seite geschoben und sich an seinen Platz gestellt.
Francois war wütend. Er griff nach einem Stock, und nun wich Buck zurück, denn er erinnerte sich nur zu gut an die Schläge. Als Solleks wieder auf seinem Platz stand, wurde er nicht verdrängt. Allerdings kam Buck auch nicht näher um sich einspannen zu lassen. Er wollte als Leithund vor dem Schlitten gehen oder überhaupt nicht.
Auch Perrault hatte kein Glück mit ihm. Wohl eine Stunde dauerte das Schauspiel. Sie warfen Stöcke nach ihm, schimpften, fluchten und verwünschten ihn. Er aber knurrte nur und fletschte die Zähne dicht vor ihnen.
Francois verlor die Geduld. Schon eine Stunde hätten sie unterwegs sein müssen. Schließlich nahm er Solleks die Stränge ab und rief Buck. Der lachte, wie Hunde eben lachen können, und blieb, wo er war. Noch einmal rief der Mann, aber Buck kam nicht. Erst als er den Stock wegwarf, kam Buck langsam und würdevoll heran. Er warf einen stolzen Blick auf die anderen Hunde und stellte sich an die Spitze des Gespanns.
Fast augenblicklich sauste das Gespann durch die Landschaft. Die Männer merkten sehr schnell, dass Buck ein vorzüglicher Leithund war. An Stellen, wo es auf Vorsicht und überlegtes, schnelles Denken ankam, übertraf er sogar Spitz, den Francois bisher als den besten Führer kennen gelernt hatte.
Buck sorgte mit seinen scharfen Zähnen dafür, dass alle Hunde fleißig arbeiteten. Er war so unbarmherzig zu ihnen, dass sie ein für allemal ihren Widerstand aufgaben. Die Stimmung im Gespann war wieder besser geworden, die alten Zeiten der Einigkeit und des Friedens waren wieder eingezogen. Als zwei neue wilde Hunde dazu kamen, bändigte Buck sie mit einer Geschwindigkeit, die bei Francois helle Begeisterung hervor rief.
Sie kamen sehr schnell voran. Die Bahn war in ausgezeichneter Verfassung, und Neuschnee war nicht zu befürchten. Trafen sie mit anderen Männern zusammen, erregte ihr Schlitten immer die Aufmerksamkeit aller. Am vierzehnten Tag sahen sie die Lichter der Zeltstadt und der Schiffe im Hafen. Sie wurden mit Jubel begrüßt, denn eine so schnelle Fahrt wie sie hatte noch keiner gemacht.
Dann kam ein neuer Auftrag für Perrault und Francois. Sie verabschiedeten sich von Buck, und der sah sie nie mehr wieder. Sie verschwanden aus seinem Leben.
Auf seiner nächsten Reise, die abermals nach Dawson ging, führte ihn und elf andere Hunde ein Mulatte. Diesmal war er aber keinem Eilschlitten, sondern einem gewöhnlichen Postschlitten zugeteilt. Sie hatten Nachrichten aus aller Welt für die Leute, die oben im hohen Norden nach Gold suchten.
Es war schwere Arbeit, die Buck nicht gern, aber willig tat. Er sorgte auch weiterhin dafür, dass die anderen ihre Pflicht taten. Es war ein eintöniges Leben, in dem ein Tag wie der andere verging. Die einzige Abwechslung brachten die Mahlzeiten. Da wieder einige Raufbolde unter den Hunden waren, gab es drei größere Balgereien, aus denen Buck immer als Sieger hervor ging. Danach fing niemand mehr einen Streit mit ihm an. Er brauchte nur das Rückenhaar zu sträuben und die Zähne zu zeigen, schon gingen sie ihm aus dem Weg.
Am besten gefiel es ihm, wenn er am Feuer liegen durfte. Die Hinterbeine zog er unter den Körper, streckte die Vorderbeine weit von sich und legte den Kopf darauf. Er blinzelte schläfrig in die Flammen, und manchmal wanderten seine Gedanken zurück in seine Heimat. Er dachte an das weiße Haus, die klaren Fluten des Sees, an Tutt, den dicken Mops und Bella, die kleine Pinscherhündin. Er dachte aber auch an seine Todfeinde Zottel und Spitz. Heimweh hatte Buck nicht. Der sonnige Süden lag zu weit hinter ihm und zu viel war inzwischen geschehen. Diese Erinnerungen sah er nur undeutlich.
Viel klarer sah er etwas anderes vor sich. Das war keine Erinnerung an ein eigenes Erlebnis, sondern es war das Erbe seiner Vorfahren, deren Erinnerung, die nun in ihm erwachte. Manchmal war es ihm, als ob ein Mann neben ihm wäre, ein Mann mit starken Sehnen, dicken Muskeln, langen Haaren und kleinen geschlitzten Augen.
Wenn die Fahrt weiter ging, wurde Buck immer wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt. Nach der langen Reise mit schwerer Ladung kamen sie in jämmerlichem Zustand in Dawson an. Sie hätten mindestens zehn Tage Ruhe gebraucht, um wieder frisch und munter zu sein, aber schon nach zwei Tagen sollten sie die Rückfahrt antreten, um Briefe und Pakete aus Alaska hinauszuschaffen.
Die Hunde und die Führer waren erschöpft. Dazu schneite es Tag und Nacht, die Bahn war weich und die Kufen sanken tief ein. Die Arbeit war schwerer als je zuvor, aber die Menschen taten für die Hunde, was sie konnten. Jeden Abend rieben sie die Tiere ab, bevor sie an Ruhe für sich selbst dachten. Erst bekamen die Hunde ihre Mahlzeit, dann aßen die Männer.
Und doch nahm die Kraft der Tiere immer mehr ab. Viele von ihnen hatten in diesem Winter schon sehr weite Strecken zurückgelegt. Buck ertrug alles, und er hielt auch die anderen in guter Ordnung.
Von den Hunden hatte Dasch am meisten zu leiden. Er hatte sich wohl innerlich durch die Überanstrengung verletzt und wurde von Tag zu Tag elender. Wenn der Schlitten manchmal mit einem plötzlichen Ruck zum Stillstand kam, schrie er laut auf vor Schmerzen. Wenn ihm abends das Geschirr abgenommen wurde, fiel er auf der Stelle hin. Dann fütterten ihn die Leute und deckten ihn zu. Immer wieder überlegten sie, wie ihm zu helfen sei.
Eines Tages ging es Dasch so schlecht, dass er nicht mehr eingeschirrt werden sollte. Er sollte ausruhen und nur frei hinter dem Schlitten her laufen. Dasch aber heulte und winselte und lief an seiner Stelle neben dem Schlitten im tiefen Schnee her. Die Männer verstanden ihn und wollten ihm die letzte Freude nicht versagen. - Er wollte seinen Platz einnehmen und mit den anderen den Schlitten ziehen. Sie schirrten ihn wieder an und mit erhobenem Kopf und glänzenden Augen zog er mit allen seinen Kräften. Manchmal heulte er vor Schmerzen auf. Einmal stolperte er, und die Schlittenkufen fuhren ihm über die Hinterbeine, so dass er fortan hinkte.
Bis zum Abend hielt er aus, aber am nächsten Morgen war er zu schwach um sich aufzurichten. Seine letzten Kräfte brauchte er, um an den Schlitten heran zu kriechen. Dann lag er lang ausgestreckt im Schnee und winselte jämmerlich. Der Schlitten fuhr um eine Wegbiegung und blieb stehen. Der Mulatte ging zurück. Auch die anderen Schlitten standen still, und die Männer hörten auf zu sprechen. Ein Revolverschuss peitschte durch die Stille. Dann kam der Mann zurück.