Der Mann mit dem Gürtel voll Gold
- Autor: Stevenson, Robert Louis
Am zehnten Tag der Reise ließ nachmittags die Dünung nach, und ein dichter, regenschwerer weißer Nebel breitete sich aus. Man konnte nicht von einem Ende der Brigg zum anderen sehen. Den ganzen Nachmittag über beobachtete ich, wie Matrosen und Offiziere über die Reling gebeugt scharf lauschten. Ich spürte, dass Gefahr in der Luft lag und war sehr erregt.
Etwa gegen zehn Uhr abends bediente ich den Kapitän und Mister Riach beim Essen, als das Schiff mit lautem Krachen auf etwas stieß. Wir hörten Geschrei, und die beiden Männer sprangen auf.
"Aufgefahren!", sagte Riach.
"Nein, Sir", entgegnete der Kapitän, "wir haben nur ein Boot gerammt."
Und hinaus waren sie. Der Kapitän behielt Recht. Im Nebel hatten wir ein Boot in den Grund gebohrt. Es war mit der ganzen Mannschaft untergegangen, nur ein Mann wurde gerettet, dem es zu seinem Glück gelungen war, sich an unserer Brigg festzuhalten. Er war nicht groß, aber gut gewachsen. Als der Kapitän ihn in die Hütte geleitete, sah ich sein dunkelbraun gebranntes Gesicht mit zahllosen Sommersprossen und Pockennarben. Er hatte einen angenehmen, offenen Blick. Ungemein hell waren seine Augen, aus denen eine gewisse übermütige Kühnheit funkelte. Er legte seinen Mantel ab und warf ein Paar feine, silberbeschlagene Pistolen auf den Tisch. An seinem Gürtel sah ich einen großen Säbel. Mir war klar, dass ich diesen Mann auf den ersten Blick lieber zum Freund als zum Feind haben wollte.
Der Kapitän beobachtete mehr die Kleidung des Mannes als seine Persönlichkeit. In der Tat war diese prächtig: Hut mit weißen Federn, rote Weste, schwarze Samthosen, blauer Rock mit Silberknöpfen und Silberborten - teure Kleider.
"Es tut mir sehr leid um das Boot, Sir", sagte der Kapitän.
"Ein paar ausgezeichnete Leute sind hinunter", erwiderte der Fremde, "die ich gern wieder an Land gesehen hätte."
"Freunde von Euch?", fragte Hoseason.
"Ihr habt keine solchen Freunde!", war die Antwort. "Gestorben wären sie für mich wie der treueste Hund!"
Der Kapitän sprach ihn auf seinen französischen Soldatenrock und die nicht dazu passende schottische Sprache an, und er sagte, dass er zu der anständigen Seite gehöre, zu den Jakobiten.
Darauf erwiderte der Kapitän; "Ich bin ein treuer Protestant und danke Gott dafür. Indessen hindert mich das nicht daran, Bedauern zu empfinden, wenn es einem anderen schlecht geht."
"Wirklich?", fragte der Jakobit. "Gut, ich will ganz offen sprechen. Wenn ich in die Hände der Rotröcke falle, dann wehe mir! Ich war auf dem Weg nach Frankreich. Hier in der Nähe kreuzte ein französischer Segler um mich mitzunehmen. Im Nebel ist er an uns vorbei gefahren. Um es kurz zu machen: Könnt Ihr mich dort absetzen, wohin ich wollte? Ich habe genug bei mir, um Eure Mühe hoch zu lohnen."
"An Land? In Frankreich?", rief der Kapitän. "Nein, Sir, das kann ich nicht! Aber zu Eurem Ausfahrtsort zurück, darüber könnte man reden."
Dann schickte er mich in die Kombüse, um das Abendessen für den Herrn zu holen. Als ich zurückkam, sah ich, dass der Herr einen goldgespickten Gürtel abgeschnallt hatte und gerade ein paar Guineen auf den Tisch legte. Der Kapitän sah erregt erst auf die Goldstücke, dann auf den Gürtel und schließlich in das Gesicht des Herrn. "Die Hälfte davon", rief er endlich, "und ich bin der Eure!"
Der Jakobit sagte: "Kein Heller davon gehört mir. Das Geld gehört meinem Häuptling, aber ich wäre ein schlechter Diener und Bote, wenn ich nicht einen Teil des Goldes nutzen würde, um den anderen zu retten. Dreißig Guineen, wenn Ihr mich an die Küste bringt und sechzig, wenn Ihr mich in der Bucht von Linnhe absetzt."
"Hm", machte Hoseason, "und wenn ich Euch den Rotröcken übergebe?"
"Ihr wäret ein Narr, wenn Ihr das tätet!", entgegnete der andere. "Lasst Euch sagen, Sir, mein Häuptling ist geächtet wie jeder anständige Mann in Schottland. Sein Land ist in den Händen des Mannes, der König Georg heißt. Dessen Beamte versuchen die Pacht einzutreiben, aber viele der Pächter denken noch an ihren Häuptling in der Verbannung. Und dieses Geld ist eben ein Teil jener Pachten, auf die König Georg so scharf ist."
"Also", erwiderte der Kapitän, "was sein muss, muss sein. Sechzig Guineen und abgemacht. Hier, meine Hand darauf!"
"Und hier meine!", sagte der andere.
Darauf ging der Kapitän hinaus, recht eilig, wie mir schien. So war ich in der Hütte mit dem Fremden allein.
Zu jener Zeit, kurz nach dem Jahr fünfundvierzig, kamen zahlreiche Edelleute unter Lebensgefahr aus der Verbannung zurück. Man sprach darüber, wie die Pächter der hochländigen Häuptlinge sich einschränkten, um ihnen Geld zukommen zu lassen, und wie sie und ihre Leute den Soldaten Trotz boten, wenn sie das Geld eintreiben wollten. Ich hatte auch davon gehört, dass sie es zwischen den Schiffen unserer großen Flotte hindurch über das Meer schafften.
Nun saß ein Mann vor mir, der nicht nur Anführer und Pachtschmuggler war, er hatte auch noch Dienst genommen bei König Ludwig von Frankreich. Noch dazu trug er einen Gürtel voller Goldguineen. Wie immer meine Anschauungen sein mochten, ein solcher Mann hatte meine Teilnahme!
Als ich ihm das Essen vorsetze, sagte ich: "Ein Jakobit seid Ihr also?"
"Ja", erwiderte er, "und du? Jemand mit einem so langen Gesicht dürfte ein Whig sein?" Ich wusste, dass das die gewöhnliche Bezeichnung für Anhänger von König Georg war.
"Na, so halb und halb", gab ich zurück.
"Tut nichts", sagte er und verlangte noch eine neue Flasche.
"Ich will den Schlüssel holen", meinte ich und trat hinaus aufs Deck. Der Nebel war noch immer sehr dicht, aber die Wellen nicht mehr so hoch. Ich sah den Kapitän mit den beiden Offizieren auf dem Mitteldeck, sie steckten ihre Köpfe zusammen. Sofort hatte ich das Gefühl, dass sie nichts Gutes im Schilde führen und lauschte angestrengt.
Es war Mister Riach, den ich rufen hörte: "Können wir ihn nicht aus der Hütte herauslocken?"
"Besser, wenn er drin bleibt", erwiderte Hoseason, "da hat er keinen Platz, um seinen Degen zu gebrauchen. Wir können ein Gespräch mit ihm anfangen, auf jeder Seite einer, und ihn dann an beiden Armen packen. Wenn das nicht geht, stürzen wir uns auf ihn, bevor er das Ding ziehen kann."
Mich ergriffen Furcht und Empörung über die verräterischen, gierigen, blutdürstigen Kerle. Ich hatte eine kühne Idee und trat an die drei heran: "Kapitän, der Herr möchte etwas zu trinken, aber die Flasche ist leer. Wollt Ihr mir den Schlüssel geben?" Sie erschraken und schauten zu mir.
"Hallo!", rief Riach. "Das wäre eine Möglichkeit, zu unseren Feuerwaffen zu kommen! Sag, David, weißt du, wo die Pistolen sind?"
"Natürlich weiß es David", warf Hoseason ein, "er ist ein tüchtiger Bursche! Siehst du, Davie, mein Junge, dieser wilde Hochländer ist eine Gefahr für uns alle, gar nicht davon zu reden, dass er ein Feind unseres Königs ist! Das Üble ist, dass alle unsere Gewehre in der Hütte sind, gerade unter seiner Nase, auch das Pulver. Wenn ich oder einer von den Offizieren hinginge und die Sachen herausnähme, würde er sich Gedanken darüber machen. Aber wenn ein Junge wie du ein Pulverhorn oder auch ein paar Pistolen holt, würde er es gar nicht merken. Mach's klug, Junge, und ich will es dir danken, wenn wir in Carolina ankommen. Der Mann hat einen ganzen Gürtel voll Gold, und ich gebe dir mein Wort, dass du einen gerechten Teil davon bekommst!"
Ich erklärte ihm, dass ich tun wolle, was er wünscht. Tatsächlich konnte ich vor Spannung kaum atmen. Er gab mir den Schlüssel zum Schnapsschrank, und ich ging langsam zurück. Was sollte ich tun? Ich dachte an alle ihre Greueltaten, aber was konnten ein Mann und ich gegen sie und die ganze Mannschaft tun?
Als ich in die Hütte kam, ging alles ganz schnell und wie von selbst. Ich legte meine Hand auf seine Schulter und fragte: "Möchtet Ihr hier den Tod finden?" Er sprang sofort auf, und ich sprach weiter: "Mörder sind sie alle hier! Ein Schiff voller Mörder! Einen Jungen haben sie schon umgebracht. Nun haben sie es auf Euch abgesehen!"
"So, so", sagte er, "dazu müssen sie mich aber haben!" Dann sah er mich mit einem seltsamen Blick an: "Willst du auf meiner Seite stehen?"
"Ja, das will ich! Ich bin kein Dieb und Mörder. Ich will Euch helfen!"
"Gut, wie heißt du?"
"David Balfour von Shaws", erwiderte ich.
"Ich heiße Stuart", antwortete er. "Alan Breck werde ich genannt." Gleich darauf begann er, unsere Verteidigungsmittel zu überprüfen. Die Hütte war stark gebaut. Von ihren fünf Öffnungen waren nur das Oberlicht und die beiden Türen so breit, dass ein Mann hindurch konnte. Die Türen waren überdies fest verschließbar. Er sagte, dass eine Tür offen bleiben sollte, weil er sie für seine Verteidigung brauche. Er wolle seine Feinde sehen.
Er nahm ein Entermesser vom Gestell und gab es mir. Außerdem sollte ich aus einem Pulverhorn und einem Sack voll Kugeln sämtliche Pistolen laden. Er stellte sich mitten in den Raum, das Gesicht zur Tür, zog seinen langen Degen und probierte, wie hoch er sich schwingen ließ. Kopfschüttelnd sagte er: "Ich muss ihn niedrig führen Das ist jammerschade. Meine Stärke ist die Auslage von oben her."
Während ich die Pistolen lud, war meine Brust vor Angst wie eingeschnürt. Wenn ich an die vielen Männer dachte, die nun gleich auf uns losgehen würden, bebte mir das Herz.
Alan Breck fragte, wie viel Mann an Bord sind. Ich zählte nach und brachte endlich heraus: "Fünfzehn."
Alan ließ einen Pfiff hören "Da kann man nichts machen! Pass auf! Ich werde den Hauptkampf an dieser Tür führen. Wenn du alle Pistolen geladen hast, steigst du auf das Bett, damit du gut ans Fenster kannst. Wenn sie sich an die andere Tür heranmachen, dann schieße! Lausche außerdem genau mit deinen Ohren, ob jemand über das Oberlicht herein will."