Der Knabe und die Schlange
- Autor: Haltrich, Josef
[von Josef Haltrich]
Es war einmal eine arme, arme Frau, die hatte einen Knaben. Sie mühte sich, durch Spinnen so viel zu verdienen, dass sie leben konnten. Was sie aber zu Hause spann, das trug der Knabe zum Verkauf.
Einmal hatte er einen ganzen Groschen eingelöst und ging fröhlich nach Hause. Da sah er, wie böse Knaben eine junge Schlange quälten. Das konnte er nicht mit ansehen und sprach: "Gebt mir das Tier für einen Groschen." Die bösen Knaben waren zufrieden und gaben ihm die Schlange.
Da nahm der Knabe sie mit nach Hause und sprach: "Siehe, Mutter, was ich gekauft habe!" Die Mutter aber schüttelte das Haupt und erwiderte: "Oh, du törichter Mensch, wie konntest du einen ganzen Groschen für das giftige Tier geben?" "Lass gut sein, Mutter", antwortete der Knabe, "es wird sich schon irgendwie lohnen."
Der Knabe pflegte die Schlange und gab ihr von allem, was er aß und trank. Als sie aber ausgewachsen war, sprach sie eines Tages zum Knaben: "Du sollst nun wissen, dass ich die einzige Tochter des großen Schlangenkönigs bin. Setze dich auf meinen Rücken, denn ich will in meine Heimat zurück und dich mitnehmen. Mein Vater wird es dir vergelten, dass du mich gut behandelt hast!"
Der Knabe setzte sich auf die Schlange, und in kurzer Zeit waren sie weit, weit weg in einem großen Wald. Da sprach die Schlange: "Klettere hier auf den höchsten Baum!" Kaum war es geschehen, pfiff sie dreimal so gewaltig, dass der scharfe Ton dem Knaben durch Mark und Knochen ging. Auf einmal wimmelten von allen Seiten unzählige Schlangen heran und waren erstaunt, dass die verlorene Königstochter wieder da war. Sie wanden sich vor Freude umeinander und verneigten sich vor ihr.
Endlich kam auch ihr Vater, der Schlangenkönig. Er war größer als die anderen Schlangen und hatte eine Krone, die mit leuchtenden Edelsteinen besetzt war. Auch er freute sich, als er seine Tochter sah. Gleich musste sie ihm erzählen, wie sie von den bösen Knaben gefangen und gequält und von einem guten Knaben gerettet worden war. Da fragte der König, wo der gute Junge zu finden sei. Die Königstochter sprach: "Wenn du mir versprichst, dass du ihm alles schenken wirst, was er sich wünscht, so will ich ihn herbeiholen." "Ja, so soll es geschehen!", antwortete der Schlangenkönig.
Da rief die Schlange den Knaben von seinem Baume herunter. Er war voll Furcht, denn die Schlangen züngelten und zischten von allen Seiten. "Nun", sprach der Schlangenkönig, "was wünschst du dir, Junge?" Die Königstochter hatte dem Knaben auf der Reise aber gesagt, er solle das weiße Sonnenross ihres Vaters mit den acht Füßen verlangen, und dazu auch noch den größten Edelstein aus seiner Königskrone. Der Junge machte es so, aber der Schlangenkönig wollte nicht und sprach: "Ich gebe dir jedes andere Pferd aus meinem Besitz und große Schätze dazu. Mein weißes Sonnenross und den großen Edelstein kann ich dir nicht geben!" Der Knabe blieb jedoch bei seinem Verlangen, worauf der Schlangenkönig zornig sprach: "Lieber will ich dich gleich verschlingen, bevor ich dir mein kostbarstes Gut gebe!" Und wie er es gesagt hatte, war der Junge auch schon verschluckt.
Nun aber fing die junge Königstochter an zu jammern und zu klagen: "Wehe mir! Wäre ich doch lieber nicht hierher gekommen. Muss ich jetzt meinen Vater verachten, weil er sein Wort nicht hält?"
Als der Alte dies hörte und seine Tochter nicht trösten konnte, spuckte er den Jungen auf einmal wieder aus. Aber der sah jetzt nicht mehr aus wie ein armer Junge, denn er war groß und schön wie ein Königssohn. Der Schlangenkönig brach den großen Edelstein aus seiner Krone, gab ihn dem Jungen und sprach: "Du sollst auch mein Ross haben." Er ließ das weiße Sonnenross herbeiführen, setzte den Jungen darauf und rief: "Reite nun los in die Welt! - Und wenn du etwas Schweres zu verrichten hast, so sage es deinem Ross. Es wird dir immer helfen. Wenn es aber Nacht ist, so nimm den Edelstein und stecke ihn dem Ross an die Stirne. Er wird für dich die Nacht zum Tage machen!"
Der Junge ritt fort, und schon bald waren sie aus dem Schlangenreiche hinaus. Das Ross lief schneller als der Morgenwind und sprang von einer Bergspitze zur anderen. So ritten sie Tag und Nacht und der Edelstein strahlte auf der Stirne wie die Sonne.
Endlich kamen sie in ein Land, wo ein reicher und stolzer König herrschte. Es war Tag, und der Junge hielt den Edelstein in seiner Tasche verborgen. So zog er denn an den Hof und fragte, ob er dem König dienen könne. Das gewährte man ihm, und er stellte sein Ross im königlichen Stalle unter.
Der König war ein großer Jäger und verbrachte alle Tage auf der Jagd. Wer nun von seinen Dienern das meiste Wild erlegte, der war ihm der liebste. Schon nach kurzer Zeit war es der Junge, denn wenn er auf seinem weißen Sonnenross jagte, konnte ihm kein Wild entgehen. Der König sah es und kürzte den anderen Knechten ihren Lohn, um es dem Jungen zu geben.
Das wurmte die Knechte sehr, und sie überlegten, wie sie dem Jungen Verderben bringen konnten. Da fiel ihnen eine riesige Wildsau ein, die in einer Wildnis mit hohem Schilfrohr lebte. Sie hatte goldene Borsten und zwölf Ferkel. Schon viele Jäger, die sie erjagen wollten, waren elend zu Grunde gegangen. Der König wusste auch davon und hätte die Sau wohl gerne gehabt. Nun kamen die neidischen Knechte vor den König und sprachen: "Herr, dein junger Knecht hat sich gerühmt, er könne die Wildsau mit den goldenen Borsten samt ihren zwölf Ferkeln fangen." Da ließ der König den Jungen rufen und fragte nach. Der Junge widersprach den Worten der Knechte, aber der König drohte: "Wenn morgen früh die Wildsau ihren zwölf Ferkeln nicht im Schlosshof ist, lasse ich dir das Haupt abschlagen!"
Da war der Junge sehr traurig, ging in den Stall und erzählte es seinem Ross. "Nur Mut" sprach es, "ich werde dir schon helfen. Gehe zum König und verlange von ihm einen großen langen Sack und lass ihn inwendig mit Pech bestreichen." So geschah es und der Junge nahm den Sack und setzte sich auf sein Ross. Kaum waren sie in der Wildnis mit dem Schilfrohr angekommen, stellte der Junge den Sack offen hin und wartete selbst daneben. Dann wieherte das Ross, und auf einmal brach die Wildsau schnaubend aus dem Dickicht. In blinder Wut lief sie geradewegs in den Sack hinein, und die Ferkel hinterher. Schnell band der Junge den Sack zu, legte ihn auf das Ross und ritt zurück. Im Burghof band er den Sack dann wieder auf, und die Wildsau rannte auf das eiserne Burgtor zu, konnte es aber nicht zersprengen.
Als am Morgen der König erwachte, sah er den gewaltigen Glanz an den Schlossfenstern und hörte auch ein fürchterliches Grunzen. Er schaute hinaus uns sah voll Freude die Wildsau mit den Goldborsten samt ihren zwölf Ferkeln. Nun durfte der Junge mit dem König zu Tische sitzen, was eine große Ehre war.
Das ärgerte die anderen Knechte noch viel mehr und sie ersannen einen weitere List. Sie traten vor den König und sprachen: "Dein junger Knecht hat sich gerühmt, er könne dem König die schöne Königstochter mit den goldnen Zöpfen verschaffen. Diese aber wohnt doch weit über dem Meer und hat alle Bewerber abgewiesen."
Der König ließ den Jungen sogleich vor sich rufen und sagte, was er gehört hatte. Der Junge hörte es zum ersten Male und beteuerte, er wisse nichts davon. Da sagte der König: " Mir ist es gleich. Wenn die Königstochter in drei Tagen nicht zur Stelle ist, lasse ich dir das Haupt abschlagen!"
Traurig ging der Junge wieder in den Stall und klagte es seinem Ross. Es sprach: "Sei ohne Sorge, ich werde dir schon helfen. Gehe nur zum König und sage ihm, er soll ein Schiff bauen lassen und das Schönste hineinlegen, was er hat." So geschah es und viele Kostbarkeiten wurden in das Schiff gebracht. Das Schönste war aber ein Bett, wie man es noch nie gesehen hatte. Dann führte der Junge sein Ross auf das Schiff und machte sich auf die lange Reise.
Als er im Lande der schönen Königstochter angekommen war, schiffte er sich in der Nähe des Palastes ein. Dann ließ er das Schiff nach allen Seiten öffnen. Die schöne Königstochter trat gerade an das Schlossfenster und sah die Pracht. Sie schickte gleich ihre Mägde hin, denn sie sollten das Kostbarste und vor allem das Bett kaufen. Der Junge war aber von seinem Ross belehrt worden und ließ nun ausrichten, das Bett sei sehr groß und könne nur sehr schwer hin- und hergetragen werden. Die Königstochter möge doch selber kommen und die Probe machen, ob es für sie gut sei.
Sogleich erschien die Königstochter in ihrer schönsten Kleidung auf dem Schiff, sah die vielen Sachen, und legte sich zuletzt auf das schöne Bett, um es zu versuchen. Es war gerade richtig und sie schloss für eine kurze Zeit die Augen. Wie sie nun vieles gekauft hatte und zu ihrem Schloss heimkehren wollte, sah sie auf einmal, dass sie schon weit auf dem offenen Meer war. Der Junge hatte heimlich ablegen lassen, und sie hatte es nicht gemerkt.
Da war die Königstochter sehr zornig und sprach: "Das ist Verrat! Dafür werde ich mich rächen." Der Junge erwiderte. "Seid nicht böse, ihr bekommt einen großen König zum Gemahl." "Das wird nie und nimmer geschehen!", rief sie trotzig.
Als sie an den Hof gelangten, eilte ihnen der König entgegen und war von ihrer Schönheit über die Maßen entzückt. Er sprach: "Oh, das kann ich dir nicht genug vergelten, mein lieber Junge!" Dann bot er der Königstochter sogleich seine Hand an. Diese aber sagte mit finsterem Blick: "Nein, nie und nimmermehr werde ich es tun, bis ihr meine Stuten samt dem Hengstfohlen hierher gebracht habt." Sie hoffte sich dadurch frei zu machen, denn sie wollte keinen Gemahl, und sie glaubte, der König werde es nicht zu Wege bringen.
Die Stuten lebten auf einer großen unterseeischen Wiese, allein von einem Hengstfohlen bewacht, das Feuer schnaubte und ungeheuer stark war.
Der König ging nun wieder zum Jungen und sprach: "Hast du mir die Königstochter gebracht, so musst du mir auch ihre Stuten und das Hengstfohlen bringen!" Der Junge erwiderte: "Ich fürchte, das wird nicht gehen." Da herrschte der König ihn zornig an: "Hast du es morgen nicht vollbracht, wirst du dein Haupt verlieren!"
Der Junge fand, das es doch ein großer Undank sei, und erzählte es seinem Ross. "Lass nur", sprach das Ross, "ich werde dir den Weg schon weisen." Da ritt der Knabe an das Meeresufer und hob eine große Erdhöhle aus. Darin konnte er sich zusammen mit dem Ross verbergen. Dann fing das Ross an zu wiehern und versteckte sich mit dem Jungen in der Höhle.
Als das Hengstfohlen das Gewieher in der Ferne vernahm, spitzte es die Ohren und glaubte an Gefahr. Das Hengstfohlen lief jetzt stürmisch los und gelangte auch an das Ufer, doch es war nichts zu sehen. Da eilte das Hengstfohlen wieder zu den Stuten zurück.
Nun wieherte das Ross des Jungen zum zweiten Male und versteckte sich gleich wieder in der Höhle. Das Hengstfohlen kam abermals im Sturm gelaufen, sah sich um, und kehrte um.
Jetzt wieherte das Ross des Jungen zum dritten Male und blieb am Ufer stehen. Das Hengstfohlen stürmte feuerschnaubend heran, und die Stuten folgten ihm. Sogleich fiel das Hengstfohlen über das Sonnenross her, und beide bissen sich so arg, dass das Blut in Strömen floss. Der Kampf wogte hin und her, doch am Ende behielt das Sonnenross die Oberhand. Jetzt sprang auch der Junge schnell herbei und legte dem müden Hengstfohlen ein Zaumzeug an. So ließ es sich geduldig neben dem Sonnenross führen, und alle Stuten folgten ihm.
Als sie dann an den Hof gelangten, freute sich der König sehr und sprach: "Jetzt will ich nichts mehr von dir verlangen!" Er ging auch zur Königstochter und sagte: "Siehe, die Stuten und der Hengst sind im meinem Hof. Nun wirst du wohl nicht länger zögern und meine Gemahlin werden!" Sie schaute den König zornig an und erwiderte: "Noch nicht! Zuerst musst du die Stuten melken und in der siedenden Milch baden, damit deine Haut so weiß wird, wie die meine!" Sie hoffte aber, er werde sich zu Tode verbrühen. Da kam der König nochmals zu dem Jungen und sprach: "Höre, du musst mir die Stuten melken!" "Oh, mein König!, rief der Junge. "Habe ich nicht genug für dich getan, und hast du mich nicht freigesprochen?" "Was ich befehle, ist Gesetz!", schrie der König. "Du solltest mir gehorchen, wenn dir dein Leben lieb ist!"
Da ging der Junge traurig in den Stall und klagte es seinem Ross. Das sprach: "Führe mich in den Hof." Es geschah, und das Ross blies so frostig kalt aus seinem linken Nasenloch, dass alle Stuten an der Erde festfroren. Der Junge nahm einen großen Kessel und konnte sie jetzt mit Leichtigkeit melken. Danach wurde die Milch über einem großen Feuer zum Sieden gebracht. Als sie brodelte, rief die stolze Königstochter: "Nun, König, jetzt steige hinein und bade." Da fürchtete er sich sehr und befahl dem Jungen, er möge doch als Erster hineinsteigen. Der Junge sah sein letztes Stündlein gekommen und sprach: "Oh, mein König, das ist nicht gerecht!" Da drohte der König: "Tust du es nicht, so lasse ich dir das Haupt abschlagen!"
Der Junge entkleidete sich also und wollte gerade in den brodelnden Kessel steigen, da blies das Ross aus dem linken Nasenloch so viel frostigen Wind auf den Kessel, dass die Milch lauwarm wurde. "Oh, wie wunderbar!", rief der Junge und wurde herrlich weiß, dass es ein Pracht war.
Der König aber rief: "Heraus, mit dir!", und sprang selber hinein. Da blies das Sonnenross aus dem rechten Nasenloch solche Glut auf den Kessel, dass die Milch gleich wieder aufbrodelte und der König darin zerkochte. Nur die weißen Knochen ließen sich noch finden.
Dann trat der Junge vor die stolze Königstochter und sprach: "Ich bin es, der dich über das Meer geholt hat. Sie antwortete: "Ja, ich erkenne dich und will dich wohl zu meinem Gemahl machen!" So wurde der Junge der schönen Königstochter angetraut und war jetzt auch Herr und König über das Land, das sein undankbarer Gebieter vormals besessen hatte.
Die neidischen Diener aber, die eine gerechte Strafe fürchten mussten, waren schon längst geflohen. Und was mit dem Sonnenross, dem Hengstfohlen und den Stuten geschah, das vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht leben sie ja noch heute!