Das Staatsbankett
- Autor: Twain, Mark
Inzwischen erschreckte der Gedanke an das Festessen Tom nicht mehr so gewaltig. Doch trotz seines neu gewonnenen Selbstvertrauens war ihm noch ein wenig unbehaglich. Der arme Bettelknabe begann, sich in seiner glanzvollen Rolle wohlzufühlen.
Während Tom mit dem langwierigen Zeremoniell angekleidet wird, blicken wir kurz in den Festsaal. Königlich verzierte Wandsäulen und vergoldete Säulen tragen die schwere Decke des großen Saales, in dem das Festessen stattfindet. Die Flügeltüren sind geöffnet und Soldaten der königlichen Garde halten in ihren glanzvollen Gewändern Wache. Auf der Galerie, die rund um den Saal führt, drängen sich hübsch gekleidete Bürger der Stadt.
Der Schall des Fanfarenstoßes bricht sich mehrfach in den langen Korridoren. Von Weitem hört man: "Macht Platz für den König!" Diese Laute wiederholen sich mehrmals, bevor ein prächtiger Festzug den Saal betritt. Vorneweg die Ritter des Hosenbandordens, Barone, Grafen und Hofherren. Danach kommt der Lordkanzler in Begleitung von zwei Herren, die das königliche Zepter und das Reichsschwert tragen, in den Saal. Unter Trommelwirbel und Trompetenklängen betritt der König den Saal. Die Zuschauer auf der Galerie jubeln: "Gott schütze den König!"
Toms Herz raste bis zum Hals, trotzdem bewegte er sich sicher. Das festliche Gehabe berauschte ihn derart, dass er gar nicht mehr an den großen Raum denken konnte. Konzentriert befolgte er die Anweisungen seiner Lehrmeister und antwortete mit leichtem Kopfnicken auf den Jubel. "Herzlichen Dank, meine lieben Leute!", sagte er gnädig.
Er setzte sich an die Festtafel, ohne die Kopfbedeckung abzunehmen. Dies fiel ihm leicht, weil man dies auch in der Familie Canty so gehandhabt hatte. Auch dort behielt man die Kappe während des Essens auf. Das war aber auch der einzige Punkt, in dem der König einer Bettlerfamilie nichts voraushatte.
Sorgsam nahm Tom das Mahl ein. Er achtete penibelst darauf, keinen Fehler zu machen und so wurde sein erstes öffentliches Mahl ein voller Erfolg. Als er den Festsaal wieder unter Trommelwirbel und Trompetenklängen verließ, wurde ihm bewusst, dass es halb so schlimm war, unter Beobachtung von so vielen Menschen zu speisen. Gerne hätte er dies mehrmals täglich getan, wäre er dafür den leidigen Regierungsgeschäften entkommen.