Cassy
- Autor: Beecher Stowe, Harriet
Mitten in der Nacht erwachte Tom. Er lag stöhnend und blutend allein in einem leeren Schuppen. Es war heiß und schwül und das Ungeziefer wimmelte um Tom herum. Ihn quälte der Durst, schlimmer noch als die schmerzenden Wunden am ganzen Körper. Plötzlich hörte er Schritte. Es war Cassy, die mit einer Laterne und einem Krug Wasser zu Tom trat. Wortlos füllte sie den Becher und half Tom beim Trinken. Er leerte Becher um Becher, so groß war sein Durst.
"Es ist nicht das erste Mal, dass ich jemandem Wasser bringe.", meinte Cassy leise. "Danke, Missis.", stöhnte Tom. "Sag' nicht Missis zu mir. Ich bin eine Sklavin wie du." Sie legte feuchte Tücher auf Toms Wunden, die ihn angenehm kühlten und den Schmerz linderten. "Viel mehr kann ich nicht für dich tun. Es hat alles keinen Zweck. Du bist sehr mutig und tapfer, aber du kämpfst völlig umsonst. Er ist der Stärkere. Du musst ihm gehorchen." Tom stöhnte wieder und schüttelte den Kopf. "Oh Gott. Niemals könnte ich ihm gehorchen." "Du brauchst nicht nach Gott zu rufen.", sagte Cassy bitter. "Gott ist nicht hier. Ich lebe seit fünf Jahren auf dieser Plantage. Es gibt hier kein Gesetz, zehn Meilen von der nächsten Farm entfernt. Wir leben mitten in den Sümpfen. Es gibt nichts, dessen Legree nicht fähig wäre. Jetzt lebt er mit diesem fünfzehnjährigen Ding zusammen. Das Mädchen sagt, es habe eine fromme Erziehung genossen. Und was nützt ihr das hier?" Tom sah Cassy erschüttert an. "Hat der Herr uns Arme wirklich vergessen?", fragte er bang. Cassy antwortete nicht auf die Frage, sondern sprach einfach weiter. "Diese elenden Hunde, mit denen du arbeitest, sind es nicht wert, zu leiden. Jeder von ihnen würde dich verraten, wenn es darauf ankäme. Deine Gutherzigkeit rettet sie nicht. Es ist alles umsonst."
"Wodurch sind diese Menschen so grausam geworden?", fragte Tom. "Ich selbst habe Weib und Kinder und alles verloren. Ich kann nicht auch noch den Himmel verlieren. Nein. Ich darf nicht schlecht und grausam werden." "Gott muss die verurteilen, die uns zwingen, schlecht zu werden.", begehrte Cassy wild auf. "Vielleicht. Aber das bewahrt uns nicht vor der Schlechtigkeit. Es ist das Schlechtsein, vor dem ich mich fürchte." Cassy sah Tom erschrocken an, dann stöhnte sie: "Oh Gott! Erbarme dich. Du hast Recht."
Eine Weile schwiegen beide, dann fing Cassy wieder an, zu sprechen. "Ich bin im Überfluss aufgewachsen. Ich besuchte eine Klosterschule, lernte dort Französisch, Musik, Sticken und so etwas. Aber meine Mutter war eine Sklavin gewesen. Als mein Vater überraschend starb, musste alles verkauft werden, um die Schulden zu decken. Auch ich kam auf die Liste, obwohl mich Zeit meines Lebens niemand als Sklavin behandelt hatte. Aber ich wurde verkauft. Ich hatte Glück und ein Freund meines Vaters kaufte mich. Er brachte mich in ein großes Haus. Wir hatten Diener und Kutschen und Pferde, ich bekam viele Kleider, ich war sein geliebtes Eigentum. Mir war es egal, denn auch ich liebte ihn. Wir hatten zwei wunderschöne Kinder. Dann kam Mr. Simmons, ein Verwandter aus New Orleans. Dieser hatte einen bösen Einfluss auf meinen Henry. Er nahm ihn zum Trinken und zum Spielen mit. Er stellte ihm andere Frauen vor. Henry machte Schulden und schließlich musste er mich und die Kinder verkaufen, um die Schulden zu decken. Er verkaufte mich an Mr. Simmons aus New Orleans, der mir sagte, er hätte mich vom ersten Tag an besitzen wollen. Nur deshalb hatte er meinen Henry ins Unglück gestürzt. Ich verfluchte diesen Mann und weigerte mich, mit ihm zu gehen. "Ganz wie du willst.", sagte dieser kühl. "Dann verkaufe ich deine Kinder." Was sollte ich tun? Dieser elende Kerl hatte meine Kinder! Also ging ich mit ihm, aber ich hasste ihn. Meine Kinder wurden größer und mein Sohn, der auch Henry hieß, hasste den bösen Mann. Und so verkaufte er eines Tages beide Kinder, als wir auf einem Ausflug waren. Meine Tochter Elisa habe ich nie wieder gesehen, aber Henry entdeckte ich noch einmal. Er war in einem Prügelhaus, um geschlagen zu werden. Er sah mich und riss aus, klammerte sich an mich. Sie holten ihn zurück. Damals ist in meinem Kopf etwas zersprungen. Ich tobte und schrie und mein Herr bekam Angst vor mir. Also verkaufte er mich. Mein neuer Herr war ein Mann namens Stuart. Er war sehr freundlich. Er suchte nach meinen Kindern. Henry war auf eine Farm am Red River verkauft worden. Elisa gehörte einer Frau. Stuart bot riesige Summen, aber die Frau wollte meine Tochter nicht freigeben. Wenig später starb Stuart an der Cholera. Worum konnte ich nur nicht sterben? Nein, ich bin zum Leben verurteilt. So wanderte ich von Hand zu Hand und landete schließlich hier, bei Legree. Möchtest du noch etwas Wasser?" Sie bettet Tom etwas bequemer, stellte das Wasser in seine Reichweite und verließ den Schuppen.