Aufsässiges Eigentum

  • Autor: Beecher Stowe, Harriet

Ein Reisender stieg in einem kleinen Gasthaus im Dorf N. in Kentucky ab. Es war ein regnerischer Nachmittag und in der Gaststube befand sich eine bunt zusammen gewürfelte Schar von Gästen. Große Männer saßen hier in bunten Jagdhemden, zusammen mit kleinen Sklavenjungen und Jagdhunden. Ihre schmutzigen Stiefel streckten sie unbekümmert ins Zimmer und spuckten sorglos ihren Tabaksaft aus. In diese Gesellschaft also geriet unser Reisender, der klein war und ein rundes, gutmütiges Gesicht hatte. Seine Reisetasche und seinen Schirm brachte er selbst in die Gaststube und verstaute beides sicher unter dem Stuhl, auf dem er Platz nahm. Sorgenvoll schaute er zu seinem Nachbarn hinüber, dessen Stiefelabsätze auf dem Kaminsims ruhten und der gleichmäßig nach rechts und links ausspuckte. Der Nachbar bemerkte die Blicke und erkundigte sich nach Neuigkeiten. Als der kleine Reisende den Kopf schüttelte, schob der Mann ihm etwas von seinem Tabak hin. Aber der Reisende schüttelte wieder den Kopf und der Nachbar schob sich das angebotene Stück Tabak selbst in den Mund.

In der Wirtsstube scharten sich einige Gäste um einen Anschlagzettel. "Was gibt es denn da?", fragte der Reisende, dessen Name Herr Wilson war. Sein tabakkauender Nachbar antwortete: "Entlaufener Sklave." Herr Wilson stand auf, rückte Reisetasche und Regenschirm zurecht, setzte umständlich eine Brille auf und las:

"Entlaufen ist der Sklave Georg. Georg ist sechs Fuß groß, hat helle Haut und lockiges, braunes Haar. Er ist intelligent, spricht sehr gewählt, kann lesen und schreiben. Vermutlich gibt er sich als weißer Mann aus. Auf dem Rücken und den Schultern hat er tiefe Narben, auf der rechten Handfläche befindet sich der Buchstabe H. 400 Dollar für Lebend-Fang. Die gleiche Summe bei zuverlässigem Beweis seines Todes."

Herr Willson las den Text sehr sorgfältig. Der Mann, der ihm zuvor Tabak angeboten hatte, stand auf, ging zu dem Anschlag und spuckte Tabaksaft auf dessen Mitte. "Das ist meine Meinung zu dieser Sache. Ich würde auch dem Schreiber dieses Anschlages so ins Gesicht spucken. Wer einen solchen Burschen besitzt und ihn nicht gut behandelt, hat es nicht besser verdient. Ich habe selber auch meine Leute daheim. Aber ich würde ihnen niemals nachsetzen. Das wissen sie und bleiben. Ich habe für alle Freischeine beantragt, falls mir etwas geschieht. Ich kann meinen Burschen vertrauen. Ich sage: behandelt sie wie Hunde und sie werden arbeiten und reagieren wie Hunde. Behandelt sie wie Menschen und sie benehmen sich auch wie Menschen." Er spuckte noch einmal aus und setze sich wieder. Auch Herr Wilson hatte wieder Platz genommen. Er nickte.

"Ich kenne den Burschen, der hier beschrieben wird. Er ist ein feiner Kerl. Er hat sechs Jahre in meiner Sackleinwandfabrik gearbeitet und eine Maschine zur Reinigung des Hanfes erfunden. Er ist sehr begabt. Die Maschine ist bereits in anderen Fabriken eingeführt und sein Herr hat das Patent." Der Mann mit dem Tabak schüttelte den kopf. "Und dann geht er hin und brandmarkt so einen Jungen?"

An dieser Stelle fuhr ein einspänniger vornehmer Wagen vor und die Unterhaltung wurde unterbrochen. Dem Wagen entstiegen ein gut gekleideter feiner Herr und sein farbiger Diener. Alle Gäste des Wirtshauses betrachteten die Neuankömmlinge neugierig. Der feine Herr hatte einen spanischen Teint und war von hoher Gestalt. Leicht und ungezwungen betrat er die Gaststube. Mit einem Kopfnicken wies er dem Diener einen Platz für die Koffer an und bestellte unter Angabe seines Namens beim Wirt ein gutes Zimmer. Sein Name war Henry Butler, Oaklands, Shelby County. Er schlenderte zu dem Anschlag und las in flüchtig. Dann wendete er sich an seinen Diener. "Jim, haben wir einen solchen Kerl nicht unten in Bernan's getroffen? Hatte er einen Buchstaben auf der Hand?" Jim antwortete: "Ja, Sir, so einen haben wir getroffen. Aber auf den Buchstaben habe ich nicht geachtet." Der spanische Herr gähnte gelangweilt und wartete darauf, dass der Wirt und seine Bediensteten nun das Zimmer für ihn richteten.

Herr Wilson hatte den vornehmen Mann mit Neugier betrachtet. Er kam ihm bekannt vor. Wenn der feine Herr lächelte und sprach... endlich schien Herrn Wilson die Erleuchtung zu kommen und er starrte den Fremden in sprachloser Verblüffung an. Dieser bemerkte, dass Herr Wilson ihn anstarrte, trat zu ihm und lächelte. "Herr Wilson, nicht wahr? Verzeihen Sie, dass ich Sie nicht gleich erkannt habe. Aber auch Sie haben mich erst auf den zweiten Blick erkannt, habe ich Recht? Henry Butler, Oaklands, Shelby County." Herzlich schüttelte er Herrn Wilson die Hand. "Ja, Herr Butler.", antwortete Herr Wilson verwirrt.

In diesem Augenblick meldete ein Sklave, dass das Zimmer bereit stehe. Herr Butler wies seinen Diener an, das Gepäck auf das Zimmer zu bringen und lud Herrn Wilson zu einer kleinen Unterredung ein. Herr Wilson folgte dem feinen spanischen Herrn wie ein Traumwandler. Sie betraten ein großes helles Zimmer, in dem ein frisch entfachtes Feuer flackerte. Als alles gerichtet war und sie allein im Raum waren, schloss der junge spanische Herr die Tür, versperrte sie sorgfältig und steckte den Schlüssel in die Tasche. Dann drehte er sich zu Herrn Wilson um.

"Georg!", rief Herr Wilson. Der spanische Mann nickte. "Ja, ich bin Georg." Herr Wilson sah sich besorgt um. "Das hätte ich nicht gedacht. Du spielst ein gefährliches Spiel. Ich hätte dir davon immer abgeraten." Georg lächelte. "Ich tue dies auf meine eigene Verantwortung. Ein wenig Walnussschale hat meine helle Haut braun gefärbt. Das schwarze Haar unterstreicht meine spanische Erscheinung. Die Verkleidung scheint jedenfalls recht gut zu sein." Herr Wilson nickte. Georg war väterlicherseits weißen Ursprungs. Seine Mutter war eine farbige Schönheit gewesen. Sie war die Sklavin der Leidenschaft ihres Besitzers gewesen und Mutter von Kindern, die ihren Vater nie gekannt hatten. Georg hatte seinen hochfliegenden, unbezähmbaren Geist und die schönen europäischen Gesichtszüge von einer der stolzesten Familien in ganz Kentucky. Eine kleine Veränderung der Haut- und Haarfarbe hatte ihn zu einem Spanier werden lassen. Die Anmut der Bewegung und die Feinheit der Manieren waren ihm angeboren. Es fiel ihm keineswegs schwer die Rolle eines Mannes von Welt zu spielen.

Herr Wilson war ein gutherziger und vorsichtiger alter Herr. Besorgt ging er im Zimmer umher. Einerseits wollte er Georg helfen, andererseits wollte er Ordnung und Gesetz wahren. "Georg! Du bist ausgerissen. Du lehnst dich gegen die Gesetze deines Landes auf." Georg lachte bitter. "Meines Landes? Ich habe kein Land außer meinem Grab und ich wünschte bei Gott, ich läge schon dort. Ihr habt ein Vaterland! Aber was habe ich, geboren von einer Sklavenmutter? Welches Gesetz gilt für uns? Diese Gesetze sind nicht für uns. Sie machen uns klein und halten uns am Boden. Was ist mit den Reden zum 4. Juli? Bekommt die Regierung ihre Macht nicht von der Zustimmung des Volkes? Kann nicht einer wie ich sich einen Reim darauf machen? Ich kann zwei und zwei zusammenzählen."

Herr Wilson bedauerte Georg aber er hielt es auch für seine Pflicht, ihm gut zuzureden. "Georg. Das ist alles sehr schlimm. Aber halte dich von solchen Gedanken fern. Sie sind gefährlich. Für Männer in deiner Lage sind sie sogar besonders gefährlich." Georg trat an den alten Mann heran. "Herr Wilson, seht mich an. Bin ich nicht in jeder Beziehung ein Mann wie jeder andere auch? Mein Vater war einer der Herren von Kentucky aber er hat sich nicht um mich gekümmert. Bei seinem Tode wurden wir wie seine Pferde und Hunde verkauft, um die Schulden zu decken. Unsere Familie wurde auseinander gerissen. Meine Mutter durfte keines ihrer Kinder behalten. Ich war das Jüngste. Der Herr, der mich kaufte, kaufte auch meine älteste Schwester. Ich habe gedacht, dass ich nicht so allein sein würde. Aber sie haben sie ausgepeitscht, weil sie ein christliches Leben führte, was Sklaven nach eurem Gesetz nicht erlaubt ist. Schließlich verkauften sie sie. Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört. Ich habe viel geweint. Ich war allein. Ich war jung. Und hungrig. Ich weinte nicht wegen des Hungers oder der Schläge. Nein, ich weinte, weil ich allein war. Einsam. Als ich in Ihre Fabrik kam, da fühlte ich zum ersten Mal so etwas wie Frieden. Ihr habt mich ermutigt, Lesen und Schreiben zu lernen. Ich bin euch dafür so dankbar. Und ich lernte meine Frau kennen. Ich habe sie sehr geliebt. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Und dann kommt mein so genannter Herr und reißt mich weg von all dem. Er stößt mich in den Schmutz. Warum? Er sagte, ich vergaß, was ich bin. Ein dreckiger Sklave. Ein Nigger! Schließlich verlangte er von mir, ein neues Weib zu nehmen. Was für eine Grausamkeit. Und zu alldem ermächtigt ihn euer Gesetz. Wie sollen diese Gesetze Gesetze meines Landes sein? Glaubt mir, Herr Wilson. Ich habe kein Vaterland und ich habe keinen Vater. Ich verlange, dass ihr mich in Frieden ziehen lasst. Nicht mehr und nicht weniger. Ich will nach Kanada. Sollten mich dort die Gesetze anerkennen und beschützen, dann soll dieses Land mein Vaterland werden. Aber seid vorsichtig. Ich bin ein Verzweifelter. Und wenn ihr mich hindert, werde ich um meine Freiheit kämpfen bis zum letzten Atemzug."

Nach dieser flammenden Rede stand Georg still und Herr Wilson zog ein großes gelbseidenes Taschentuch hervor, mit dem er sich die Augen rieb. "Der Teufel hole sie!", brach es aus Herrn Wilson hervor. "Zieh weiter, Georg. Zieh weiter. Diese elenden Schweinhunde, ich habe es immer gesagt. Sei vorsichtig, mein Junge. Wo ist eigentlich dein Weib?" Georg schüttelte mit dem Kopf. "Sie ist mit dem Kleinen auf und davon. Ich weiß nicht, wo sie hin gegangen ist. Vielleicht nach Norden. Sie musste fort, weil Harry verkauft werden sollte. Auch gütige Familien geraten Schwierigkeiten." Herr Wilson sah Georg traurig an. Dann zückte er seine Brieftasche und bot Georg ein Bündel Banknoten an. "Das kann ich nicht annehmen. Ihr habt schon so viel für mich getan.", lehnte Georg ab. Aber Herr Wilson ließ sich nicht abweisen und schließlich steckte Georg das Geld unter der Bedingung ein, es Herrn Wilson später bestimmt zurück zu zahlen.

"Wer ist der Bursche, der bei dir ist?", fragte Herr Wilson. Georg erklärte, dass Jim schon vor einem Jahr nach Kanada geflohen war. Er kehrte zurück als er hörte, dass seine alte Mutter für seine Flucht ausgepeitscht wurde. "Er will sie holen und mit nach Kanada nehmen. Bisher haben wir es aber noch nicht geschafft. Wir sind nur um das Gut herumgestrichen. Er begleitet mich jetzt nach Ohio, zu Freunden, die ihm helfen. Dann kehrt er wieder zurück." "Das ist alles sehr gefährlich.", bemerkte Herr Wilson. "Aber du bist ein anderer Mensch geworden, Georg. Du trägst den Kopf erhoben und dein Blick ist frei und kühn." Georg lächelte. "Das kommt daher, dass ich jetzt frei bin. Ich habe zum letzten Mal zu jemandem "gnädiger Herr" gesagt. Und je kühner ich bin, desto sicherer bin ich. Niemand sucht mich in einem Gasthaus wie diesem. Sie suchen mich weit weg. Und ich werde weiterhin bei Tageslicht reisen und in den besten Hotels absteigen. Und wenn es dazu kommt, dann sind alle Menschen frei und gleich im Grabe." Herr Wilson bewunderte Georgs Kühnheit und fragte nach dem Brandzeichen. Georg streifte seinen Handschuh ab und zeigte Herrn Wilson zornig die frisch verheilte Wunde. "Ich wusste, dass ihr mich erkannt habt, deshalb bat ich um diese Unterredung. Und nun habe ich nur noch eine Bitte. Ich habe hier eine kleine Nadel, die mir Elisa einst schenkte. Werdet ihr sie Elisa senden und ihr sagen, dass ich sie bis an mein Lebensende geliebt habe? Sie soll Harry als einen freien Mann erziehen." Herr Wilson versprach alles mit Tränen in den Augen. "Du wirst nicht sterben, Georg. Fasse Mut und vertraue auf Gott." Georg antwortete bitter: "Gibt es einen Gott, auf den man vertrauen kann? Ich habe mein Leben lang Dinge gesehen, die mich an einem Gott verzweifeln ließen. Für euch gibt es einen Gott. Gibt es auch für uns einen?" Herr Wilson drückte Georgs Hand. "Den gibt es. Vertraue auf ihn und er wird's wohl machen Alles wird gut enden. Vielleicht nicht in diesem, dann aber im ewigen Leben." Georg sah den alten Mann dankbar an. "Guter Freund, ich danke euch für diese Worte. Ich werde sie in meinem Herzen bewahren."