Auf der Rast

  • Autor: London, Jack

Malemute Kid braute einen starken Punsch aus Whisky, Schnaps, Kognak und Pfeffersoße. Zu den anderen Männern sagte er, dass nur einmal im Jahr Weihnachten ist, und man sich nach einem Jahr mit Kaninchenfährten und Lachsbäuchen einen solchen Trunk verdient habe. Sie unterhielten sich über Erlebnisse aus den vergangenen Jahren, über Auseinandersetzungen mit Indianern und den Raub von Frauen.

Malemute Kids furchtbares Gebräu tat seine Wirkung. Die Männer aus den Lagern und den weiten Einöden tauten unter seiner Wärme auf, und Scherz, Gelächter, Gesang und Erzählungen gingen reihum. Männer, die das Schicksal zusammengewürfelt hatte, tranken sich zu: der große Jim Belden aus seiner Grube bei Mary May, Louis Savoy, ein junger Französisch-Kanadier, der erst vor zwei Jahren als Goldgräber hierher gekommen war, Vater Roubeau, ein Jesuit, der Engländer Prince und andere.

Später hörten sie das wohlbekannte Knallen einer Hundepeitsche, das Heulen der Hunde und das Schnurren eines Schlittens, der vor der Hütte anhielt. Die Unterhaltung hörte auf, man wartete, was kommen würde. Dann ertönte das erwartete Klopfen, scharf und zuversichtlich, und der Fremde trat ein. Vom Licht geblendet, zögerte er einen Augenblick in der Tür und gab den Männern dadurch Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten.

Er war sehr groß mit breiten Schultern und trug eine Polartracht aus Wolle und Pelz. Sein glatt rasiertes Gesicht war durch die Kälte rosig gefärbt, die langen Wimpern waren weiß von Reif und die Ohrenklappen sowie der Nackenschutz seiner großen Wolfsfellmütze hingen lose herab. In seinem perlengestickten Gürtel steckten zwei große Revolver und Jagdmesser. Außer seiner Hundepeitsche hielt er in der Hand noch eine Büchse vom schwersten Kaliber. Sein Gang war fest und elastisch, aber er sah müde aus.

Er grüßte mit einem herzlichen "Fröhliche Weihnachten, Leute!", und im nächsten Augenblick schüttelten sich Malemute Kid und er die Hände. Obwohl sie sich noch nie getroffen hatten, kannten sie sich doch vom Hörensagen. Die Männer setzten auch ihm einen Becher Punsch vor.

"Wie lange ist es her, dass hier ein Korbschlitten mit drei Mann und acht Hunden vorbei gekommen ist?", fragte er.

"Wohl zwei Tage. Bist du hinter ihnen her?"

"Ja, es ist mein Gespann. Sind mir direkt vor der Nase davon gelaufen, die Spitzbuben. Zwei Tage habe ich schon eingeholt, jetzt habe ich sie wohl bald." Der Fremde schlug bedeutungsvoll auf seinen Revolver.

"Wann bist du von Dawson aufgebrochen?"

"Heute Mittag um zwölf."

Ein überraschtes Murmeln ging durch den Kreis, denn es war jetzt gerade Mitternacht, und in zwölf Stunden waren siebzig Meilen rauen Flusseises eine große Leistung.

Das Gespräch kam bald wieder auf allgemeine Dinge, während Malemute Kid immer wieder den Fremden betrachtete. Er fand, dass seine Züge hübsch, offen und ehrlich waren und dass sie ihm gefielen. Der Mann war noch jung, aber das harte Leben hatte sein Gesicht streng gemacht. Obwohl seine blauen Augen freundlich blickten, konnte man sich vorstellen, dass sie auch hart werden konnten, wenn es galt zu handeln und es mit einer Übermacht aufzunehmen.

Inzwischen erzählten die Männer von ihren Frauen und Familien.

Belden fragte: "Und du, Fremder, bist du verheiratet?"

Statt zu antworten, öffnete der Mann seine Uhr, löste sie von dem Riemen, der ihm als Uhrkette diente, und reichte sie dem anderen. Dieser sagte: "Donnerwetter!" und gab sie weiter. Die Uhr wanderte von einer rauen Hand zur nächsten, und die Männer bewunderten das Bild einer hübschen Frau mit einem Kind.

"Ich habe den Kleinen nie gesehen. Er ist zwei Jahre alt und ein Junge", sagte der Fremde, als er den Schatz zurück erhielt. Einen Augenblick betrachtete er das Bild und Tränen traten in seine Augen.

Malemute Kid führte ihn zu einer Koje, in der er schlafen sollte.

"Wecke mich Punkt vier! Vergiss es ja nicht!", lauteten seine letzten Worte, und einen Augenblick später atmete er tief im Schlaf der Erschöpfung.

"Donnerwetter, das ist ein Kerl!", meinte Prince.

"Drei Stunden Schlaf nach fünfundsiebzig Meilen und dann wieder los auf die Spur. Wer ist er, Kid?"

"Jack Westondale. Er ist seit drei Jahren hier und arbeitet wie ein Pferd. Allerdings hat er nur ein Pech nach dem anderen gehabt. Ich kenne ihn nicht selbst, aber man hat mir von ihm erzählt."

"Es muss hart sein, dass ein Mann mit einer so reizenden Frau seine besten Jahre in diesem gottverlassenen Land verbringt, wo ein Jahr soviel ist wie zwei anderswo in der Welt."

"Sein Fehler ist, dass er ein zu toller Draufgänger und dabei zu eigensinnig ist. Zweimal hat er alles auf eine Karte gesetzt und alles verloren."

Die Unterhaltung der Männer wandte sich wieder anderen Themen zu. Malemute Kid sah währenddessen immer wieder ängstlich auf seine Uhr. Schließlich nahm er Fausthandschuhe und Biberfellmütze, verließ den Raum und begann in der Vorratskammer zu rumoren.

Er konnte die festgesetzte Zeit nicht abwarten und weckte seinen Gast eine Viertelstunde zu früh. Kid hatte ihm schon die Hunde angeschirrt und alles für die Abfahrt vorbereitet. Die Männer wünschten ihm einen baldigen Erfolg. Vater Roubeau gab ihm einen schnellen Segen. Malemute Kid schüttelte ihm herzlich die Hand und gab ihm gute Ratschläge.

"Du wirst hundert Pfund Lachsrogen auf dem Schlitten finden", sagte er. "Erst in gut zweihundert Meilen bekommst du wieder Nahrung für dich und die Hunde. Achte auf das offene Wasser auf dem Thirty-Mile-Fluss und nimm den Weg über den Le-Barge-See!"

Der Fremde fuhr zusammen, und seine Augen funkelten "Woher weißt du, wohin ich will?"

"Ich weiß nichts und will auch nichts wissen. Aber das Gespann, dem du nachjagst, hat dir nie gehört. Du gefällst mir, also, zum Kuckuck!"

Kid zog sich den Handschuh ab und reichte dem Fremden seinen Geldbeutel.

"Nein, das brauche ich nicht", sagte dieser, und die Tränen gefroren auf seinen Wangen, als er krampfhaft Malemute Kids Hand presste.

"Schone die Hunde nicht. Sobald einer zurück bleibt, schneide ihn los und kaufe dir einen neuen, was du dafür auch geben musst."

Keine fünfzehn Minuten später verkündete Schellengeläut die Ankunft neuer Gäste. Die Tür öffnete sich, und ein Mann von der berittenen Polizei des Nordwest-Territoriums trat ein, gefolgt von zwei Hundeführern. Sie waren schwer bewaffnet und schienen erschöpft zu sein.

"Wann ist Westondale gefahren?", fragte der Polizist. "Er hat hier doch Aufenthalt gemacht, nicht wahr?"

Malemute Kid hatte Belden einen Blick zugeworfen, der verstand den Wink und antwortete ausweichend: "Das ist schon eine ganze Weile her. Was hat er denn angestellt?"

"Er hat Harry Mc Farland vierzigtausend geraubt und sich einen Scheck auf Seattle gekauft. Die Auszahlung können wir nur verhindern, wenn wir ihn einholen. Wann ist er weiter gefahren?"

Nicht ein Blick verriet die allgemeine Spannung. Wie bei Malemute Kid begegnete der Polizist überall nur unbeweglichen Gesichtern. Er sprach die Männer einzeln an. Als er schließlich Vater Roubeau ansprach, konnte dieser nicht lügen. "Vor einer Viertelstunde", antwortete der Priester. "Aber er und seine Hunde haben sich vier Stunden ausgeruht."

"Fünfzehn Minuten Vorsprung und ausgeruht!" Der arme Bursche wankte vor Erschöpfung und Enttäuschung halb bewusstlos zurück.

Malemute Kid zwang ihn, einen Becher Punsch zu trinken, Dann wandte sich dieser der Tür zu, aber die Hundeführer erhoben kräftige Einwände, denn die Wärme und die Aussicht auf Ruhe waren zu verlockend. Sie schworen, dass die Hunde nicht weiter könnten und dass es für sie alle das Beste wäre, sich auszuruhen.

Der Polizist wollte von Malemute Hunde kaufen, aber der weigerte sich. Es kam zum Streit zwischen dem Polizisten und den Hundeführern, aber schließlich gingen sie vor die Tür zu den Hunden und setzten unter großen Anstrengungen ihren Schlitten wieder in Gang.

Nun konnten die Männer ihren Zorn zeigen - den Zorn darüber, dass sie hinters Licht geführt worden waren, aber vor allem darüber, dass die Moral des Nordlandes verletzt worden war, in der Ehrlichkeit die höchste Tugend des Mannes ist.

"Ein dreckiger Schurke und Lügner!"

"Der Blitz soll ihn treffen!"

"Ein Dieb!"

"Und wir haben dem Banditen geholfen!"

Alle Augen richteten sich anklagend auf Malemute Kid. "Ihr seht nur die eine Seite der Sache. Ein ehrlicherer Mann als Jack Westondale war nie hier! Voriges Jahr im Frühling gab er seine ganzen Ersparnisse - vierzigtausend - Joe Castrell, damit er Land von der Regierung für ihn kaufe. Heute wäre er Millionär gewesen. Aber was tut Joe Castrell, während Westondale in Circle City einen kranken Freund pflegt? Er geht zu Mc Farland und verspielt das Ganze. Am nächsten Tag lag er tot im Schnee. Der arme Jack wollte heimreisen zu seiner Frau und dem Jungen, den er noch nie gesehen hatte. Denkt daran: Er nahm genau das, was sein Kompagnon verlor - vierzigtausend! Nun ist er weg. Was wollt ihr machen?"

Kid blickte sich im Kreis um und sah, dass der Zorn sich legte. Er hob seinen Becher: "Und nun wollen wir anstoßen auf den Mann, der auf der Fahrt ist. Möge sein Proviant reichen, mögen seine Hunde frisch bleiben und seine Streichhölzer nie nass werden. Gott sei mit ihm!"

"Nieder mit der berittenen Polizei!" rief Bettles, und sie stießen mit vollen Bechern an.